antholoG!ie

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Der Kiosk

Ich hielt den Brief in meiner Hand. Er war von meiner besten und einzigen Freundin. Wir schickten uns jeden Monat einen Brief, weil wir uns nicht wirklich oft sahen. Sie wohnt in Washington und ich nun mal in Essen. Ein Flugticket konnte sich keine unserer Familien wirklich leisten. Meine schon gar nicht. Mary hatte mich bisher zweimal besucht. Ich war allerdings noch nie in Washington gewesen. Mein größter Wunsch war es, sie einmal im Winter in Washington zu besuche, denn ich hatte noch nie richtigen Schnee gesehen und in Washington war laut Mary und ihren Briefen sehr sehr viel Schnee. …

Nur ein Tropfen

Wie lange wir schon unterwegs sind? Ich weiß es nicht. Jeder Tag fühlt sich gleich an. Unruhe und Angst vermischen sich mit Hoffnung und den Gedanken an unsere mögliche Zukunft. Wie viele von uns schon aufgegeben haben? Ich habe nicht mitgezählt. Aber das ist egal, denn hier ist das Einzige, was zählt, das eigene Überleben. Ob ich wirklich noch daran glaube, jemals anzukommen? Ja, denn ich bestimme das Ende meiner Reise.   Ich betrachte die weite Ebene, die sich vor meinen Augen erstreckt. Dunkelgraue Wolken ziehen schon seit dem Mittag über das endlose, blaue Wasser. Unruhig, genau wie alle anderen, schaue …

Blickwinkel

Ich blickte erneut auf mein Handy, das fünfte Mal schon diese Stunde. Die Zeit verging so langsam, und das schon das ganze Jahr. Noch nie war ein Jahr so schlimm für mich gewesen, und noch nie hatte ich mich so wenig auf Weihnachten gefreut wie dieses Jahr. Weihnachten war toll, wenn du wusstest, dass alles in Ordnung war, und du ungestört feiern konntest, doch dem war nicht so. Ständig gab es neue Dinge, die die ganze Welt ins Chaos stürzten und extreme Veränderungen für uns brachten. Und darauf kamen noch all die Dinge, mit denen ich als normale Durchschnittsperson zu …

Offene Türen

Ich sitze auf meinem Bett in meinem neuen Zimmer und starre gegen die weiße Wand. Ich möchte nicht hier sein. Ich wollte von Anfang an nicht hier her kommen. Und trotzdem sind meine Mutter und ich in diese winzige Wohnung im dreckigsten Viertel der Stadt gezogen.   Nachdem meine Mutter ihr Restaurant wegen Geldmangel durch Corona schließen musste, ging für uns alles bergab: Mein Vater verließ uns, zog mit der Tochter eines Millionärs nach Spanien und ließ nicht mehr von sich hören. Meine Mutter fand keinen guten Job und arbeitete deshalb als Putzfrau in Bürogebäuden.   Ich hatte immer hart gearbeitet und …

Licht bedeutet Hoffnung

An einem Abend in der von Lichtern umgebenen, romantischen Stadt Paris lief ein Mädchen durch die Straßen. Ihr Name war Noelle. Während das Kind einsam herumlief, sah es den vielen Menschen dabei zu, wie sie Hand in Hand über den Weihnachtsmarkt flanierten. Der Duft von gebrannten Mandeln stieg ihr in die Nase. Doch die konnte sich Noelle nicht leisten. Traurig setzte sie sich in den dunklen Schatten eines Hauses. Schluchzend betete sie: „Herr Gott, bitte hilf mir. Ich möchte nur meine Eltern wiedersehen und erfahren, warum sie mich zurückgelassen haben. Bitte.“ In ihrer alten Sammelbüchse, in die Passanten ihr manchmal …

Das Mädchen, das zu einem Stern wurde

Lily schlug die Augen auf und das Erste, was sie erkannte, war Licht. Lily blickte sich um. Wo war sie nur? Alles, was sie sah, war nur Licht. Sie schaute nach oben, unten, nach links und rechts. Aber alles nur Licht. Lily wusste nicht, was sie tun sollte. Alles war menschenleer. Ihr kam ein schrecklicher Gedanke hoch. Musste sie jetzt für immer hierbleiben? Lily fing an zu weinen. Diese Tränen hatte sie schon die ganze Zeit runtergeschluckt. Sie vermisste ihre Mama und ihren Papa. Sie vermisste alles in ihrem alten Leben. Lily schloss die Augen und ihr wurde klar, dass …

Sofies Stern

Stille. Etwas, das Sofie lange nicht mehr vernommen hatte. Sie horchte, lediglich das Klackern der Schuhe auf dem nassen Kopfsteinpflaster der vorbeigehenden Menschen und der prasselnde Regen, der auf ihre Kapuze fiel. Sofie öffnete ihre Augen und wurde erschlagen von einem Lichtermeer. Alle Fenster waren hell erleuchtet und bunt geschmückt und über ihr hingen große, beleuchtete Sternschuppen. Ein süßlicher, fruchtiger Duft lag in der Luft. Es roch nach den Pyrizhky z Wyschnjamy ihrer Oma, nach ihrer Heimat, nach Odessa. Während sie sich vorstellte, die mit Kirschen gefüllten Buchteln ihrer Oma zu verspeisen, überkam sie eine wohlige Wärme. Es fühlte sich …

Eine Hand voll Hoffnung

Ich schaute in den Himmel, es schien als hätte er kein Ende und keinen Anfang. Ich war schon immer fasziniert vom Himmel, er erstreckt sich einfach über unseren Köpfen, wirkt so weit und schützt die Welt, wie ein Netz, das um sie gespannt ist. Er kann alle möglichen Farben haben, er kann mit Sternen übersät sein, hell erleuchtet oder dunkel. So wie jetzt. Ich ging ein paar Schritte weiter. Ich fing an zu weinen, meine Tränen waren schwer und kalt, sie taten weh in der Brust. Ich wollte gerne schreien, in die schaurige Nacht hinaus, laut, laut wollte ich schreien. …

Ein Funke Licht zur Weihnachtszeit

In der Nacht ist es dunkel. So dunkel, dass man meinen könnte, man wäre in einer riesigen schwarzen Seifenblase eingesperrt. Doch was ist, wenn dort ein Funken Licht wäre, auch wenn er nur so winzig klein wie ein Fingerhut ist. Doch in der Dunkelheit findet Licht selten einen Platz. Es war einmal ein Funke, der war Teil von etwas Großem, etwas sehr Großem. Doch es war Zeit zu gehen, die große blaue Kugel unter sich zu erforschen. Hätte der kleine Funke aus Licht gewusst, was ihn erwartetet, hätte er sich festgehalten und versucht, die große leuchtende Kugel bei sich zu …

Lichtblicke

„Ich darf nach Hause!“, juchzte Erik, während er über die Flure des Krankenhauses rannte. Er spürte die Energie, während er rannte. Energie, welche er seit zwei Jahren nicht gespürt hatte. Jeden Tag hatte er diese 2 Jahre nur im Bett gelegen. Und das alles wegen Knochenkrebs. Aber der war jetzt weg.  Er stolperte in sein Krankenhauszimmer und setze sich auf das Bett seiner Zimmernachbarin. „Linni, Linni, ich darf nach Hause!“, erzählt er ihr begeistert. „Toll“, lächelt Linni. „Ich krieg auch Besuch von meiner Familie, wann fährst du denn?“, wollte sie wissen. „Jetzt gleich! Meine Mama holt mich bald ab!“, rief …