„Ich darf nach Hause!“, juchzte Erik, während er über die Flure des Krankenhauses rannte. Er spürte die Energie, während er rannte. Energie, welche er seit zwei Jahren nicht gespürt hatte. Jeden Tag hatte er diese 2 Jahre nur im Bett gelegen. Und das alles wegen Knochenkrebs. Aber der war jetzt weg.
Er stolperte in sein Krankenhauszimmer und setze sich auf das Bett seiner Zimmernachbarin. „Linni, Linni, ich darf nach Hause!“, erzählt er ihr begeistert. „Toll“, lächelt Linni. „Ich krieg auch Besuch von meiner Familie, wann fährst du denn?“, wollte sie wissen. „Jetzt gleich! Meine Mama holt mich bald ab!“, rief er ihr zu, während er seine Sachen in eine alte Reisetasche stopfte. Schnell zog er seine Jacke über und rannte aus dem Zimmer. „Tschüss, Linni!“, rief er ihr zu. „Tschüss!“, erwiderte Linni überrascht.
Kurze Zeit später saß Erik auf der Brüstung der Krankenhaushalle und wartete. Aber seine Mutter kam nicht. Nach zwei Stunden liefen ihm die Tränen übers Gesicht. Wieso kam sie denn nicht?
Immer wenn jemand Neues die Eingangshalle betrat, schöpfte er erneut Hoffnung, doch jedes Mal wurde er enttäuscht. Am späten Abend hatte er die Hoffnung schon fast aufgegeben. Doch da betrat eine groß gewachsene Frau die Halle. Es war seine Mutter! Erik rannte die Treppenstufen herunter und stolperte über ein Kabel. Ein brennender Schmerz zuckte durch sein Knie, aber er war viel zu glücklich, um diesen Schmerz wahrzunehmen.
„Erik!“, lallte seine Mutter, „Komm her!“. Sie umarmte ihn. Dann wankte sie weiter durch die Eingangshalle.
Auf einmal stoppte Erik. Seine Mutter verhielt sich irgendwie komisch.„Mama, ist was mit dir? Du sprichst so komisch und schwankst beim Laufen!“, stellte Erik sie zur Rede. „Ne, ne, da ist nichts!“, lallte seine Mutter.
Auf dem Korridor kam ihnen auf einmal Schwester Lynneth entgegen. „Frau Scholze, wo waren sie die ganze Zeit, und sagen sie mal, sind sie betrunken?“ fragte die Schwester argwöhnisch.
„Aber, aber“, lallte Eriks Mutter. „Nichts aber,“, erwiderte die Schwester, „erst kreuzen sie viel zu spät hier auf, und dann noch betrunken! Wissen sie eigentlich, wie sehr sich ihr Sohn auf sie gefreut hat, nach all dem, was er durchmachen musste?“.
Erik guckte von einem zum anderen. Er verstand es nicht. Wieso war seine Mama betrunken?
„Wollen wir jetzt nach Hause?“, fragte er seine Mutter verunsichert. Er hielt sich an ihrem Arm fest und guckte bittend zu ihr hoch. „Das geht leider nicht!“, erwiderte Lynneth. „So können sie ihn nicht mitnehmen, das ist ein Fall für das Jugendamt!“
Sie schob Eriks Mutter zur Tür. „Du kannst bei Linni schlafen!“, erklärte sie Erik.
Betrübt ging er die Flure entlang. Sie waren schrecklich trist und leer. Überall piepten Apparate und es eilten Menschen durch die Flure. Erik hatte kein Lust, wieder in sein Zimmer gehen.
Er setzte sich auf einen der Wartestühle vor dem OP. Es fühlte sich an, als würde alles auf der ganzen Welt nur schlimm sein. Denn dort, wo er war, waren alle Menschen krank und es gab meist nur schlechte Neuigkeiten. Und jetzt war auch noch seine Mutter krank. Wieso war die Welt nur so gemein zu ihm, er hatte doch nichts gemacht!
„Entschuldigung?“, fragte ihn jemand, „wissen sie wo die Kinderstation ist?“
Die Stimme gehörte einer Frau, welcher es merklich schlecht ging. „Ja, ich kann sie hinbringen.“, erwiderte Erik. Sie nickte nur und hauchte: „Danke.“
Sie machten sich auf dem Weg. Beide schwiegen.
„Wieso sind sie hier?“, fragte Erik, kurz bevor sie auf der Station angekommen waren.
„Meine Tochter muss eine neue Niere kriegen.“, wisperte sie. „Und du?“
Erik holte tief Luft. „Ich hatte Krebs“, begann er, stockte dann aber. „Aber eigentlich bin ich gesund. Nur meine Mama ist nicht gesund, sie ist traurig und trinkt zu viel Bier. Deshalb durfte sie mich heute auch nicht mitnehmen.“, erklärte er.
„Hast du denn niemand, der für dich da ist?“„Doch Schwester Lynneth bringt mir manchmal Kekse und meine Zimmernachbarin ist auch nett!“, antwortete der Junge.
„Das meine ich nicht. Du brauchst eine Familie, Eltern die sich um dich kümmern und Geschwister!“, meinte die Frau.
Erik nickte. Wie sehr sehnte er sich nach Eltern, die sich um ihn kümmerten. Wie sehr wünschte er sich, aus diesem Krankenhaus herauszukommen.
Da kam ihm eine Idee. Er drehte sich kurz zu der Frau um und sagte: „Ich muss los, noch was erledigen. Die Kinderstation ist da um die Ecke.“
Er rannte zurück auf sein altes Zimmer, riss die Tür auf und schnappte sich Papier und Stifte. Linni guckte ihn nur erstaunt an, sagte aber nichts.
Er fing an zu malen. Eine Anzeige. Auf dem Papier stand:
Ich suche Eltern!
Meine Mama kann sich nicht um mich kümmern, aber wenn ich niemanden habe,
muss ich in ein Kinderheim. Da will ich aber nicht hin.
Falls sie ein Kind suchen, melden sie sich bitte in Etage 4, Zimmer 411.
Ich bin 10 Jahre alt und heiße Eric.
Dann zeichnete er ein paar Blumen aufs Papier.
„Was machst du denn da?“, fragte Linni. „Ich mache eine Suchanzeige, weil ich Eltern brauche. Sonst komme ich ins Heim!“, erklärte er ihr.„Aber hat deine Mutter dich nicht abgeholt?“, fragte sie verwirrt. „Ja schon, aber sie war betrunken und deshalb darf ich nicht mit ihr gehen.“, meinte er betrübt. „Aber ich muss jetzt los, Zettel aufhängen!“, beendete er das Gespräch.
Erik stürmte aus dem Zimmer und hängte in jeder Abteilung Zettel auf. Sogar in der Säuglingsstation. Obwohl es da wohl kaum was bringen würde, weil die Leute da ja schon Kinder hatten.
Dann ging er wieder in sein Zimmer und wartete. Linni war nicht da. Dann endlich, nach Stunden des Wartens, klopfte es an der Tür. Vor der Tür stand ein Pärchen mit der Anzeige. „Bist du Erik?“, fragte der Mann. Erik nickte.
„Und du suchst Eltern?“, fragte die Frau.
Er nickte erneut.
„Wir suchen ein Kind etwa in deinem Alter, vielleicht könnten wir ja mal beim Jugendamt fragen? Wie es aussieht, brauchst du ja eh ein Zuhause.“Mit diesen Worten verließen sie ihn..
Er war so glücklich wie lange nicht mehr.