Eine Hand voll Hoffnung
Eine Hand voll Hoffnung

Eine Hand voll Hoffnung

Ich schaute in den Himmel, es schien als hätte er kein Ende und keinen Anfang. Ich war schon immer fasziniert vom Himmel, er erstreckt sich einfach über unseren Köpfen, wirkt so weit und schützt die Welt, wie ein Netz, das um sie gespannt ist. Er kann alle möglichen Farben haben, er kann mit Sternen übersät sein, hell erleuchtet oder dunkel. So wie jetzt.


Ich ging ein paar Schritte weiter. Ich fing an zu weinen, meine Tränen waren schwer und kalt, sie taten weh in der Brust. Ich wollte gerne schreien, in die schaurige Nacht hinaus, laut, laut wollte ich schreien. Aber ich tat es nicht. Schneller und schneller, immer schneller lief ich. Ich rannte, als ich einen lauten Knall hörte, erschütternd. Und in meinem Kopf spielte blitzschnell ein Film, von einem kleinen Mädchen, geschlagen wird es. Von einer Frau, erschossen wird sie. Diese Welt ist grausam geworden. Schon immer hatte ich Angst vor den Schatten der Welt.
Ich sah mich panisch zu allen Seiten um. Da war keiner. Die Angst war mir in die Knochen gefahren. Ich keuchte, es fühlte sich an, als ob sich schwere Ketten um meine Brust legten, um meine Kehle, und mir die Luft abschnürten. Ich war nicht fähig weiterzulaufen, ich war wie angewurzelt stehen geblieben.


Ich beruhigte mich langsam wieder, atmete ein paar Luftzüge ein und aus und merkte, wie die Panik langsam verflog. Dann schaute ich mich um. Links und rechts von mir waren ein paar Läden, der Boden war gepflastert und die Laternen spendeten nur wenig Licht. Eine kleine Gasse schlängelte sich zwischen den Läden entlang, der Knall kam von dort. Ich atmete schneller, nahm all meinen Mut zusammen und ging in die Gasse. Dunkel, war es, menschenleer. Nach wenigen Metern entdeckte ich einen kleinen Laden, er war besonders hell erleuchtet. Wie ein Stern in der Finsternis, meine Angst wich der Neugier. Das Schaufenster war geschmückt mit Lichterketten und schönen alten Dingen. Mit Lametta und ausgefallenen roten Kugeln, in verschiedenen Farbabstufungen, eine schöner als die andere, war ein buschiger Weihnachtsbaum geschmückt. Ich ging näher an das Fenster, legte meine Hände wie Scheuklappen um meine Augen, um besser erkennen zu können, wie es drinnen aussieht. Ich konnte nicht viel sehen, weil mein Atem die Scheibe sofort beschlagen ließ. Ich trat zu Tür und drückte die Klinke nach unten. Normalerweise tat ich so etwas nicht, nachts rumlaufen und in Gebäude gehen, in denen ich zuvor noch nie gewesen war. Aber ich konnte nicht anders, etwas zog mich dort hinein.


Als ich eintrat klingelte ein kleines Glöckchen über mir. Der Raum wirkte sehr gemütlich, in der einen Ecke stand eine alte rote Samtcouch, die mit goldenen Details versehen war. Daneben eine schöne Stehlampe. Hat seinen Charme, dachte ich. Die Tapete war flaschengrün, mit Blumen darauf, an den Wänden gegenüber hingen viele Gemälde, in bunten Farben und alt aussehenden Rahmen. Und überall standen und hingen Lampen, was den Raum unfassbar hell machte, fast zu hell, aber nicht unangenehm, beflügelnd könnte man sagen. Eine schwere Holztheke mit einer antiken Kasse darauf befand sich auf der anderen Seite, dahinter eine grüne Tür, die erst kaum weiter auffiel. Neben der Kasse stand ein weiterer Tannenbaum, noch größer, beeindruckender als der im Schaufenster. Dieser kleine Laden ist vollgestopft, mit schönen Dingen, mit Lichtern und Wärme. Ich war noch nicht ganz über die Türschwelle getreten und doch fühlte es sich schon an, als würde ich hier geborgen sein. Als ich ganz eintrat, knarrte der Holzboden unter mir, auch wenn ich versuchte leise zu sein.


„Hallo!“, sagte ich vorsichtig. Keine Regung. Ich ging weiter in den menschenleeren, warmen Raum. „Hallo?“, wiederholte ich lauter. Ich hörte Schritte. Sie kamen wohl aus einem Nebenraum, der sich hinter der grünen Tür verbergen musste. Ich sah, wie sich die verschnörkelte Türklinke langsam nach unten bewegte und eine ältere Dame eintrat. Sie setzte sich auf die Couch. „Guten Tag. Was kann ich für dich tun, mein Kind.“ Ihre Stimme war lieblich, sie trug ein langes, buntes Gewand, ihre Haare fielen ihr lang über die Schultern. „Nichts, ich hatte nur einen lauten Knall gehört und wollte schauen, was passiert ist“, antwortete ich ihr. Sie lächelte mich an und klopfte neben sich auf die Couch, bedeutete mir, ich solle mich zu ihr setzen. Ich ging auf sie zu und ließ mich neben ihr nieder. „Der Krach war meine Schuld. Mir ist ein alter Koffer mit Familienbildern runtergefallen. Ich wollte ihn abholen, weil hier morgen ein Ausverkauf stattfindet und ich die Fotos gerne behalten möchte“, sagte sie. „Aber Schätzchen, du hast geweint, was ist passiert?“ Ich musste Lächeln, wenn es auch ein Trauriges war. „Ich habe meinen Job verloren und bald ist Weihnachten. Alles ist teuer und ich werde mir meine Wohnung aufgrund der hohen Gaspreise bald nicht mehr leisten können, auch die Geschenke meiner Kinder kann ich mir vielleicht nicht leisten.“ Antwortete ich und wie ganz selbstverständlich kamen die Tränen wieder. Sie rollten langsam und schmerzhaft über meine Wangen. „Mhm, das tut mir sehr leid. Ich verstehe deine Sorgen. Darf ich dir eine Geschichte erzählen?“ Ich nickte, sie nahm meine Hand und fing an.
„Dieser Laden wurde damals von meiner Mutter eröffnet, sie hat ihn mir vererbt. Ich bin quasi hier aufgewachsen. Ich weiß noch, als ich ein kleines Mädchen war, war ich ständig hier, meine Mutter hatte im Nebenraum eine Bibliothek eingerichtet, mit schweren Ohrensesseln und wunderschönen Holzregalen, der Raum war immer hell beleuchtet, es roch nach altem Papier und für mich war es wie ein Festsaal. Aber als meine Mutter starb, war dieser Raum nicht mehr der, der er einmal war. Die Magie fehlte. Und jetzt ist der Laden pleite. Während des Lockdowns waren die Einnahmen schlecht und hat uns schon einige Schulden eingebracht und mit den erhöhten Energiekosten kann ich es mir einfach nicht mehr leisten.“ Ihr Blick schweifte durch den warmen Raum, sie seufzte. Ich konnte ihren Schmerz gut nachvollziehen. Es war schwer etwas so Schönes, Warmes hinter sich zu lassen. „Das tut mir sehr leid.“ Sie blickte mir wieder in die Augen. „Dinge zu verlieren, tut immer weh, aber“, sie machte eine kleine Pause, überlegte, was sie sagen soll. „Es hat auch Positives. Ich bin sehr traurig, dass ich diesen Ort hier verliere, aber ich kann nun abschließen mit der Vergangenheit und die Zeit, die mir noch bleibt, mit meiner Schwester verbringen. Ich bin jetzt schon fast siebzig Jahre alt und weißt du, ich habe so viel Zeit verschwendet, weil ich einfach zu stur war, einen Fehler einzusehen.“ Sie schüttelt leicht ihren Kopf. „Also ziehe ich nach Kanada, um bei meiner Schwester sein zu können. Das Leben ist zu kurz, um nicht das Positive in jeder Situation zu sehen und ihr eine Chance zu geben. Endlich verstand ich, was sie mir sagen wollte. Ich stand auf und sie tat es mir gleich. „Außerdem liebe ich den kalten Winter dort und vor allem den Schnee.“ Sie lachte herzhaft und ich stimmte ein. Ich sah dieser Frau in die Augen und wusste, dass sie recht hatte, es gab immer Licht, auch in der dunkelsten Nacht, auch wenn man manchmal danach suchen musste. Ich wusste nun, dass ich all das, was kommt, ertragen und schaffen kann, mit Mut und Zuversicht verabschiedete ich mich.

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