Glücksmomente
Glücksmomente

Glücksmomente

Der Sommer 2016 war der Sommer, in dem das deutsche Frauenfußball- Team Olympia gewann und ich mich zum ersten Mal verliebte. 

Ich spürte Flips wütende Blicke in meinem Nacken. Ich wusste, dass sie stinksauer auf mich war und dass sie für mindestens eine Woche nicht mit mir reden würde. Das alles lag nur daran, dass ich durch einen Zufall Papa und diese Petra zusammengebracht hatte. Dies hatte Flips zuerst auch nicht ernst genommen. Sie dachte genau wie ich, dass diese Liebelei nicht sehr lange halten würde. Aber da hatten wir wohl beide falsch gelegen. Die beiden waren jetzt nämlich schon seit geschlagenen ein einhalb Jahren ineinander verschossen. Tja, ich hatte mich nach ca. einem Jahr damit abgefunden. Deshalb hatte ich auch heute einen Brunch für die beiden organisiert. Genauer gesagt für die zwei, uns und Petras Sohn Robin. 

Gerade als ich in Gedanken versunken war, trat meine Zwillingsschwester mir gegen das Schienbein. „Hast du mir überhaupt zugehört, Schlotte?“ zischte sie. „Was?“ fragte ich verwirrt. „Ich sagte, dass die Verkupplung von Papa mit dieser Schnepfe ja wohl mal die mit Abstand dümmste Idee war, die du in deinem 11-jährigen leben hattest!“ wiederholte sie. „Und sie dann auch noch zum Brunchen einzuladen, da fragt man sich schon, wie blöd eine einzelne Person eigentlich sein kann!“, regte sie sich weiter auf. „Flips…“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Was?“, fuhr sie mich an. „Flips, die Leute gucken schon.“, versuchte ich sie abermals zu beruhigen. „Ist mir doch egal, was die Leute machen!“, giftete sie mich an. „Flips wir sind dran!“, zischte ich in ihr rechtes Ohr. Meine Schwester trat wütend einen Schritt vor und klatschte sich das Rührei mit solcher Wucht auf den Teller, dass es mittig auf ihre Klamotten spritzte. Sie sagte trotzdem kein Wort. Ich tat mir schnell etwas Rührei auf den Teller und eilte hinter meiner Schwester her, die schon halb rennend in Richtung unseres Tisches lief. Sie knallte ihren Teller auf den Tisch und setzte sich. Ich ließ mich auf den Stuhl neben ihr fallen. 

Petra schien davon nichts mitzubekommen. Sie grinste weiter. Auch Papa ignorierte Flips nicht allzu sonnige Gemütslage standhaft. Generell benahmen sich alle irgendwie komisch. „Phillipa, Charlotte…,“ setzte Petra an. 

Damit waren wir gemeint. Auch wenn wir es hassten, bei unseren richtigen Namen genannt zu werden. Phillipa und Charlotte. Das klang,  als wären wir irgendwelche Prinzesschen, die nur darauf warteten, von irgendeinem dämlichen Prinzen wachgeknutscht zu werden. Dabei waren wir genau das Gegenteil davon. Besonders Flips sah mit ihrer halbkurz geschnittenen braunen Wuschelfrisur definitiv nicht brav aus. Ich sah aber auch nicht grade wie das Unschuldslamm vor dem Herrn aus. Meine Haare waren zwar immer zu einem Pferdeschwanz gebunden, aber das aus dem einfachen Grund, dass ich nichts anderes konnte. Außerdem spielten wir beide Fußball. Das bedeutete, dass wir uns dreimal die Woche im Matsch wälzten. Dies lag allerdings nicht am Fußball, sondern an der einfachen Tatsache, dass die Stadt uns keinen Kunstrasenplatz spendieren wollte und wir sämtliche Schürfwunden auf uns nahmen, um einen Ball in das gegnerische Tor zu befördern. So drückte dies zumindest die Mutter unserer besten Freundin Leonie aus. Eigentlich war es sehr weit mehr als das. Meiner Meinung nach war Fußball also mal so überhaupt gar kein Prinzessinnensport. Und das würde wohl auch immer so bleiben. Und eben aus diesen Gründen wollten wir definitiv nicht Phillipa und Charlotte genannt werden. 

 Petra interessierte das von Herzen wenig. Wie auch in diesem Moment, als wir sie beide über unser Essen hinweg anstarrten. Sie redete einfach munter weiter. „Also der Ludwig und ich, wir wollen euch mal was sagen!“, strahlte sie uns an. 

 Als sie das sagte wusste ich, dass es einer dieser Momente werden würde, die nie, nie, niemals gut enden würden. Und ich behielt recht. 

 Denn nun fing mein Vater an zu reden: „Ja, äh also genau wir wollten euch mal was sagen, dass nämlich… dass wir hm…“, stammelte er. „Das wir zusammenziehen wollen!“, vollendete Petra den Satz. Papa strahlte. 

 Zumindest bis Flips wütend aufsprang. „Nie im Leben!“ brüllte sie. Ich krallte ihren Arm. Flips wand sich und versuchte sich loszureißen. Es geschah alles wie in Zeitlupe. Auch Papa sprang nun auf. Petra versuchte die Salzstreuer in Sicherheit zu bringen. Robin guckte meine Schwester bloß mit seinen hübschen blauen Augen an. Hatte ich schon erwähnt, dass er ziemlich gut aussah? Flips schaffte es allerdings trotz meinen Versuchen, sie festzuhalten, sich irgendwie loszureißen. 

 Zwei Dinge musste man ihr allerdings lassen, sie legte nämlich ersten einen Abgang hin, auf den jeder noch so gute Hollywood- Schauspieler sehr neidisch wäre und zweitens ist meine Zwillingsschwester verdammt schnell. Aber sie war ja beim Fußball auch nicht umsonst unsere rechte Flügelflitzerin (ich spielte ebenfalls rechts außen, aber in der Abwehr). 

 Geschickt rannte sie zwischen den Tischen des Restaurants durch. Ich setzte ihr nach. Dabei war ich allerdings nicht ganz so geschickt im Ausweichen, dies bekam auch der Junge zu spüren, dessen Pfannkuchen einmal quer durch den Raum flogen. Mittig ins Rührei einer alten Oma. In dieser Sekunde war mir das alles aber völlig schnippe. Ich rannte einfach weiter auf die grade zufallende Tür zu. In letzter Millisekunde schlüpfte ich durch den Spalt hinaus auf den Vorhof des Restaurants. Flips war nicht zu sehen. 

 Mist! Dieser Pfannkuchen- und Rühreizwischenfall hatte mich doch länger aufgehalten als ich dachte. Bestimmt war sie in den Biergarten gerannt! Flips brauchte immer ein bisschen grün. Und im Biergarten standen immerhin ein Paar Bäume und Büsche. Ich lief also in den Biergarten. Richtig geraten! Flips saß in einem Baum und starrte Löcher in die Luft. Mich bemerkte sie nicht. Also kletterte ich die drei Meter zu ihr hoch und stupste sie an: „Hey, Flips alles klar?“, stellte ich die erstbeste Frage, die mir einfiel. Sie war überflüssig. Das wussten wir alle beide. Was soll denn bitte gut sein? Wir werden demnächst mit dieser Schnepfe und ihrem Ekelpaket von Sohn in einem Haus leben! Nichts ist gut!“. Flips starrte mich wütend an. Ich starrte zurück. So langsam hatte ich auch keinen Bock mehr, nett zu sein. Wenn sie es nicht war, musste ich ja schließlich auch nicht! Pah! „Ich finde, wir können dem ganzen eine Chance geben. Aber wenn du zu verklemmt bist, dann bitte. Und außerdem ist Robin nicht ekelig! Er sieht sogar ganz schön gut aus!“, zickte ich zurück. „Pfui Spinne, man könnte ja glatt meinen, du währst in diesen Robin verknallt!“, ließ Flips ihrem Ärger Luft. „Bin ich gar nicht!“,  erwiderte ich und sprang vom Baum runter. Dabei war ich mir gar nicht so sicher, ob ich nicht vielleicht doch in Robin verknallt war. „Bist du wohl!“, rief Flips und sprang ebenfalls herunter. „Ist auch egal.“, sagte ich schnell, damit die Situation nicht vielleicht doch noch eskalierte. „Jedenfalls ziehe ich nicht mit dieser Schnepfe unter ein Dach. Mit dem Sohn vielleicht schon, aber mit ihr? Nie im Leben! Sie ist so streberhaft und macht immer alles perfekt!“, meinte Flips und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber sie macht Papa glücklich.“, flüsterte ich leise. Da hatte auch Flips nichts mehr einzuwenden. „Frieden?“, fragte ich nach kurzer Zeit. „Höchstens Waffenstillstand!“, entgegnete meine Zwillingsschwester. „Na gut!“, sagte ich und hielt meine Hand hin. Flips schlug ein. 

„Ich brauche, denke ich, nicht zu fragen, ob du heute mit mir Deutschland-Kanada guckst.“, grinste sie. „Wir werden die Kanadier sowas von weghauen!“, erwiderte ich. „Also mein Trikot habe ich schon an!“ sagte sie, hob ihre weiße Bluse und drehte sich einmal um die eigene Achse. Sie trug ein Anja Mittag Trikot. Nummer 11 versteht sich. Ich hob vorwurfsvoll die Augenbrauen. „Was.“, entgegnete sie, „die Erwachsenen wissen es ja nicht.“ Ich grinste. Natürlich wurde ich heute Abend auch ein Trikot tragen. Ich wusste bloß noch nicht welches. Vielleicht das Isabell Kerschowsk-Trikot. Oder eins von Tabea Kemme. Josephine Henning wäre auch gut. 

Auswahl hatte ich auf jeden Fall, denn meine Schwester und ich bekamen Klamottengeld. Was wir damit anstellten, war unserem Papa herzlich egal. Außerdem teilten wir alle Trikots. 

Wir machten uns auf den Weg ins Restaurant. „Wenn die Nationalelf gewinnt, müssen sie im Finale gegen Schweden oder Brasilien ran.“, meinte meine Schwester nach der Hälfte des Weges. „Ich bin für Schweden.“, murmelte ich. „Wie jetzt?“ fragte Flips und schaute mich entgeistert an. „Nein,“ erwiderte ich lachend, „bloß im Halbfinale!“ „Dann ist ja gut, Schlotte!“ sagte meine Schwester vorwurfsvoll. Natürlich war ich für Schweden. Und das nicht nur wegen Nilla Fischer, wie meine Schwester behauptete (klar war Fischer die coolste Fußballerin des Planeten, aber erstens durfte man das bei so einem großen Länderspielturnier nicht laut sagen, und zweitens wäre ich eine Verräterin, wenn ich nicht für mein Heimatland wäre). Sie selbst teilte meine Meinung nicht. Flips war Marta-Fan, seit sie denken konnte. Aber das durfte sie auch nicht laut sagen, da Brasilien ebenfalls noch drin war. 

Schweigend gingen wir den Rest des Weges nebeneinanderher, keine sagte ein Wort. Auch nicht als wir das Restaurant betraten und uns stillschweigend auf unsere Plätze setzten. Es sprach uns auch niemand an. 

Nach fünf Minuten brach Robin das Schweigen: „Habt ihr heute Abend Zeit, ich finde wir könnten einen Film gucken.“, sagte er. Flips schaute ihn nur an. „Äh, nee heute ist Olympia-Frauenfußball Halbfinale, wir haben bedauernswerterweise keine Zeit.“, erwiderte sie schließlich. „Oh, cool, könnte ich vielleicht mitgucken?,  grinste Robin (er hatte ein wirklich schönes Grinsen). Flips blickte ihn sauer an. „Wenn es sein muss.“, antwortete sie mürrisch. Ich freute mich insgeheim. Flips allerdings guckte wie sieben Tage Regenwetter und Elfmeter verschossen. 

Dementsprechend war sie auch, als wir uns auf den Weg nach Hause machten, immer noch mies drauf. Sie sagte bis vor unsere Haustür kein Wort. Drinnen kam unser Hund Patch auf uns zu. Flips allerdings würdigte auch ihn nicht eines Blickes. Sie rannte sofort hoch in unser gemeinsames Zimmer. Ich lief hinterher. Patch ebenfalls. Als ich das Zimmer betrat, kickte Flips wütend einen Softball durch den ganzen Raum. Ich ließ sie und setzte mich aufs Bett. Patch hopste in seinen Hundekorb. Nach einer Zeit schien Flips wohl wieder in Gesprächsstimmung zu sein. „Ich gehe jetzt den Vorbericht gucken! Von denen lass ich mir  ganz bestimmt nicht Deutschland- Kanada vermiesen!“, erklärte sie lautstark. „Du kannst mitgucken!“, meinte sie noch, bevor sie die Zimmertür hinter sich schloss. 

Frechheit! Als ob ich sie fragen müsste, ob ich mit ihr den Vorbericht gucken dürfte. Ich zog mir schnell ein Isabell Kerschowski-Trikot drüber und rannte hinter meiner Schwester her die Treppe runter. Patch folgte mir. Unser Hund war nämlich ähnlich fußballverrückt wie wir. 

Als ich das Wohnzimmer betrat, hatte Flips schon den Fernseher angeschaltet. Ich setzte mich still neben sie, auch wenn ich immer noch ein bisschen sauer auf sie war. Wir saßen geschlagene fünf Minuten dort, dann klingelte Robin. 

Er begrüßte meinen Vater mit einem knappen „Hallo“. „Die Mädels gucken schon den Vorbericht, setz dich einfach dazu.“ Robin setzte sich neben mich auf die Couch in unserem Wohnzimmer. 

Noch fünf Minuten bis zum Anstoß. 

Nun wurde das Stadion eingeblendet. 

Voller Vorfreude kuschelte ich mich an Patch. Auch Flips saß gespannt wie ein Flitzebogen vor dem Fernseher. 

Es ging los. Kanada führte den Anstoß aus. Die deutsche Mannschaft schnappte sich direkt den Ball. Kurz darauf flankte Kemme in den Strafraum, haarscharf an Alex Popp vorbei. Dreckiger Vogelmist aber auch. 

Die nächsten fünf Minuten bekam ich nichts mit. Und zwar dank Flips und Robin. Die beiden zankten sich nämlich über mich hinweg an. Na Super! „Halt die Klappe, du hast ja eh keine Ahnung von Fußball!“, fauchte Flips Robin an. „Ich habe bloß gefragt, was die jetzt da machen und wer das ist?“, erwiderte Robin sauer und deutete auf den Fernseher. 

Es war Freistoß für die deutsche Mannschaft. Dies erklärte Flips auch gleich lautstark. Dann richteten sich unsere Blicke wieder auf den Fernseher. Nach drei Minuten gab es dann die erste verdammt gute Chance. Aber für das falsche Team! Zum Glück schoss die Kanadierin ans äußere Netz. 

Dann, in der 21. Spielminute ,passierte es. Popp wurde im Strafraum von Buchanan gefoult. „Elfmeter!“, schrie meine Schwester direkt. „Klarer Elfmeter!“ Die Schiedsrichterin schien das ähnlich zu sehen. Jedenfalls deutete sie auf den Punkt.  Melanie Behringer legte sich den Ball zurecht. Ich biss die Zähne ganz feste aufeinander. Dieser Elfmeter musste einfach reingehen! Behringer nahm Anlauf. 

Es war mucksmäuschenstill im Wohnzimmer. Sie schoss. Der Ball flog eiskalt mittig ins Netz. „Tor!“, brüllten wir alle. Patch sprang auf und bellte. Das Spiel ging weiter bis zur Halbzeit. Es gab zwar noch ein paar Torschüsse von beiden Seiten, diese gingen aber entweder ans Aluminium oder knapp am Tor vorbei. 

„Wow!“ sagte Robin in der Halbzeitpause zu mir. „Ich wusste gar nicht, dass Fußball so spannend sein kann!“ „Natürlich ist Fußball spannend, du Depp!“, erwiderte meine Zwillingsschwester bissig. „Ich meinte ja nur …“, sagte Robin etwas hilflos. Dann ging er mit hängenden Schultern in die Küche, um Chips zu holen. „Was hast du nur gegen ihn? Er hat doch gar nichts gemacht!“, motzte ich meine Schwester an. „Er ist dumm wie Stroh und furchtbar eingebildet! Und du hast dich auch noch in ihn verknallt!“, giftete sie zurück. „Hast du doch, oder?“,  fragte sie etwas kleinlaut. „Vielleicht!“, erwiderte ich und war sehr glücklich das in dem Moment das Fußballspiel wieder anfing und der Streit nicht weiter eskalierte. Aber ich wusste genau, dass die Tatsache, dass ich eventuell in Robin verknallt war, mir heute Abend gehörig um die Ohren fliegen würde. 

Jetzt war allerdings erst mal die zweite Halbzeit. Diese allerdings wurde direkt nach ersten Minute durch einen Spielerwechsel unterbrochen. Lena Goesling kam für Dzsenifer Marozsán rein. Nach einer weiteren Minute hatten die Deutschen dann die erste richtig gute Chance dieser Halbzeit. Aber der Ball landete in den Armen der kanadischen Keeperin. Nach 13 Minuten dann eine Flanke von Anja Mittag auf Sara Däbritz. Diese fackelte nicht lange und schoss. „Tor, Tor, Tor!“, jubelten alle.  Eins war für uns von nun an klar. Deutschland würde im Finale stehen. Genauso kam es dann auch. Allerdings hatten die Kanadierinnen durchaus auch noch gute Chancen. Bei denen allerdings stand immer Almuth Schult im Weg. Nach dem Halbfinale feierten wir noch ein bisschen vor dem Fernseher. „Kann ich das Finale auch mit gucken?“, fragte Robin unvermittelt. Ich schaute Flips an und hoffte das sie nicht wieder ausrasten würde. Das tat sie auch nicht. Stattdessen log sie Robin eiskalt an: „Ne, sorry tut uns leid, das gucken wir schon bei einer Mitspielerin!“ sagte sie zu Robin. Dieser machte ein langes Gesicht und erwiderte dann, dass er nun gehen müsse. 

Er gab Flips zum Abschied die Hand, welche so fest zudrückte, als ob sie ihm die Hand brechen wollte.  Mich umarmte er und murmelte ein betrübtes „Tschüss“. Es kribbelte ganz komisch in mir, als er mich umarmte. 

Später am Abend, als Robin schon gegangen war und Flips und ich in unseren Betten und auch Patch in seinem Hundekorb schlief, kam Flips natürlich noch mal auf das Thema Verknalltheit zu sprechen. „Bist du jetzt in diesen Robin verknallt, oder nicht?“, fragte meine Schwester. „Ich glaub schon.“, antwortete ich. „Was heißt, du glaubst, merkt man das denn nicht?“, wollte mein Zwilling wissen. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Also wenn man verknallt ist, kribbelt es, wenn man den anderen sieht. Und einem wird ganz warm. Und man kann sich vorstellen, den anderen zu küssen.“, erklärte Flips. „Als ob du schon mal verliebt gewesen wärst!“, antwortete ich patzig. „Doch, war ich!“, entgegnete meine Schwester. „Und ich bin es auch immer noch!“ „In wen?“, fragte ich neugierig. „Sag ich nicht!“, erwiderte meine Schwester. Dann herrschte Schweigen. „Was sollte das eigentlich gerade eben, als du gesagt hast, dass wir schon verabredet sind, um das Finale zu gucken?“, frage ich nach einiger Zeit. Flips zuckte nur mit den Achseln. Ich wusste genau, dass sie morgen beim Training alles daransetzen würde, das dies bald auch der Wahrheit entsprach. 

Am nächsten Tag in der Schule redeten wir nur über den Finaleinzug. Wir, das waren ich, meine Schwester, Leonie, Maike und eine neue aus Schottland hergezogene Mitschülerin namens Enola. Wir spielten alle, seit wir acht oder sieben waren, im selben Verein. 

Flips fragte sofort, ob jemand mit uns das Finale gucken wollte. „Klar“, erwiderte Maike, „wir wollten eh alle zusammen bei mir gucken!“ Flips grinste triumphierend in meine Richtung. 

In Mathe konnte ich mich nicht gut konzentrieren, da mein Blick immer wider zu Robin hinüberwanderte. Er sah einfach süß aus, wie er versuchte, sich auf Mathe zu konzentrieren. Frau Nieselregen bemerkte allerdings, dass ich nicht allzu gut aufpasste. Dafür bekam ich dann erstmal einen Anschiss, der sich gewaschen hatte: „Charlotte, wenn du die ganze Zeit damit beschäftigt bist Robin anzustarren, kannst du dir auch auf dem Flur ein Foto von ihm Hinstellen und ihn da betrachten.“ Gemein!  

Fünf Minuten später bekam ich unter der Bank einen Zettel durchgeschoben. Darauf stand:  

Liebst du mich? Ja, Nein, Vielleicht 

dein Robin. 

PS: Wollen wir uns in der Pause im Schulgarten treffen?  

Ich überlegte kurz was ich antworten sollte, dann kreuzte ich ja an. 

Wie sehr ich mich in diesem Moment schon auf den Schulgarten freute! 

In der Pause wartete dann Robin auf mich im Schulgarten. Wir sagten beide erst mal nichts. „Sind wir jetzt zusammen, oder so?, fragte er nach kurzer Zeit. „Ich denke schon.“, antwortete ich. Er drückte mir einen Kuss auf die Lippen. 

Dann bemerkten wir beide Flips. Diese bemerkte uns ebenfalls. Bevor einer von uns was sagen konnte, rannte sie auch schon weg. 

Der Rest des Tages verging wie im Flug. Doch nachdem ich mich nach der Schule von Robin verabschiedet hatte, wartete Flips schon am Schultor auf mich. Sie schaute düster. „So, so”, begrüßte sie mich, “Ihr seid jetzt also zusammen. Bravo!”. Sie schaute mich mit einem Blick an, der so kalt war wie die Eiszeit zu Zeiten von Ötzi (den nahmen wir grade in Geschichte durch). “Ich dachte, wir hätten mit diesem Thema aufgehört!”, giftete ich sie an. Ich sag’s nur noch mal, er ist ein Arschloch!”, erwiderte meine Schwester. “Rutsch mir doch den Buckel runter!“, schrie ich sie an.  „Gut, wenn du nicht mehr mit mir reden willst, dann nehme ich den anderen Weg nach Haus!”, sagte sie schnippisch und machte auf dem Absatz kehrt. 

Sie war so ein Arsch! Ich drehte mich in die andere Richtung und stolzierte davon. Zumindest erst mal. 

Dann fiel mir auf, dass Flips gar nicht den Weg nach Hause lief. Sie bog an der Kreuzung von Bug-und Brachstraße nämlich links und nichts rechts ab, wie ich durch die Bäume sah. Was machte sie denn da, fragte ich mich und war fest entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Also krabbelte ich durch die Büsche und lief ihr mit sicherem Abstand hinterher. Kurz darauf bog sie in den Waldweg zum Fußballplatz ein. Wollte sie sich mit jemandem treffen? Aber es war niemand sonst im Wald. Zumindest erst mal. 

Dann kam ihr jemand mit einer grünen Kapuzenjacke entgegen. Das Gesicht konnte ich von der Seite nicht sehen. Flips lächelte. 

Und dann küsste sie die Person? Was ging den jetzt hier ab. Und wer war das? 

Da nahm sie die Kapuze ab. Moment mal die roten Haare und die unzähligen Sommersprossen kannte ich doch. Das war mit ziemlicher Sicherheit Enola! Wie waren die denn zusammen gekommen? Und vor allem: Warum hatte Flips mir nichts gesagt? 

Da trat ich auf einmal auf einen Ast. Es krachte laut und beide drehten sich zu mir um. Ich rannte den Waldweg entlang. Doch das Problem war, dass Flips schneller war. Und so hatte sie mich nach ein paar Metern eingeholt. ,,Was machst du hier?“, schrie sie mich an. „Ich wollte bloß wissen, was du machst!”, verteidigte ich mich. „Ja klar, Schlotte!”, schnaubte Flips. 

Ich wusste, dass ich echt Mist gebaut hatte. Aber was hätte ich denn machen sollen? Ich wusste ja nicht, dass sie ein Date hatte. 

Enola schien dies zum Glück ähnlich zu sehen. “Sie hätte es doch eh irgendwann erfahren.”, versuchte sie, Flips zu beschwichtigen und nahm ihre Hand. “Gut.”, knickte Flips ein. Aber sie guckte mich trotzdem mit einem eiskalten Blick an. 

Wir gingen eine Zeit friedlich nebeneinander her. “Ich äh, ich geh dann mal.”, stotterte ich. Flips zuckte nur mit den Schultern. Ich machte mich auf den Weg nach Hause. Ein paarmal drehte ich mich um. 

Nie im Leben hätte ich gedacht, dass Flips wirklich verknallt wäre. Und schon gar nicht in Enola. Klar hatten sich die zwei ein paarmal getroffen, aber an Verliebtheit hatte ich da nicht gedacht. Anstatt nach Hause zu  gehen, schlug ich den Weg zur Wohnung von Petra und Robin ein.  

Wenn Flips den ganzen Tag etwas mit Enola unternehmen konnte, dann könnte ich mich auch mit Robin treffen. Ich klingelte an dem häßlichen Mehrfamilienhaus, in dem Robin wohnte. Die Tür surrte und ich rannte hoch in den 11. Stock. 

Oben öffnete mir Robins Mutter. „Ach Charlotte,”, begrüßte sie mich,”das ist ja nett, dass du uns besuchen kommst!”. Ich grüßte kurz und rannte in Robins Zimmer. 

„Schlotte , was machst du denn hier?” „Dich besuchen natürlich!”,  grinste ich. „Cool, wollen wir irgendwas machen? Eis essen oder so?“,  fragte er unsicher. “Klar”, stimmte ich zu. 

Robin zeigte mir eine Eisdiele in der Fußgängerzone, die ich noch nicht kannte. Das Eis war super und wir saßen eine ganze Weile da und quasselten. Hauptsächlich über die neue Lehrerin Frau Knackebrech. Diese war nämlich absolut grässlich. Noch schlimmer als die Nieselregen. Als wir gerade die Eisdiele verlassen wollten, begann es zu gießen wie aus Kübeln. Potzblitz, regnete das!  

Wir rannten durch den Regen zur Bushaltestelle. „Tschüss.“ , sagt ich und lächelte Robin an. „Tschüss“,  sagte er und küsste mich auf die Wange. Dann kam der Bus. Ich stieg ein und winkte noch lange aus dem Fenster.  

Als ich zuhause ankam, war noch niemand außer Patch da. Papa war auf der Arbeit und Flips vermutlich noch mit Enola unterwegs. Also setzte ich mich mit dem Hund aufs Sofa und wartete auf Flips. Die ließ auch nicht lange auf sich warten. 

„Das war echt mies!“,  schrie sie mich an. „Ach, und du hast mich und Robin etwa nicht beobachtet?“, schrie ich zurück. „Ich hab euch nicht hinterherspioniert, ich bin bloß zufällig vorbeigekommen.“, rechtfertigte sich meine Zwillingsschwester lautstark. „Und ich?“, fragte ich, „Ich wollte bloß gucken, was du da machst.“ Flips verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja gut. Aber erzähl es niemandem.“ „Nur, wenn du auch die Fresse hältst!“,  erwidere ich. Meine Schwester nickte bloß. 

Die nächsten Tage vergingen wie im Flug und dann war Finale. Wir hatten sturmfrei, da Maikes Eltern bei einer Fortbildung waren und ihre Geschwister auf irgendeiner Party. Als wir die Wohnung von Maike betraten, roch es herrlich nach Schokokuchen. Vermutlich Maikes Spezialrezept. Im Flur kam uns dann Leonie entgegen. „Setzt euch schon mal aufs Sofa!“, begrüßte sie uns. 

Flips ließ sich auf das linke Sofa neben Enola fallen. Ich auf das rechte. Nicht das das Rechte besser wäre, aber davor standen die Snacks.  

Das Spiel begann. Die Deutschen hatten ein paar sehr gute Chancen, die Schweden aber auch. Teilweise war er Ball gefährlich nah im deutschen Strafraum. Aber Almuth Schult fing absolut jeden Ball. 

Dann war Halbzeit. „Ich habe Nudeln im Kühlschrank!“,  meinte Maike. Wir aßen die Nudeln in rekordverdächtiger Geschwindigkeit, um beim Anstoß wieder vor dem Fernseher zu sitzen.

Doch als wir uns grade wieder auf die Couch kuscheln wollten, sahen wir nur den Ball ins schwedische Tor segeln. „Juhu!“ schrien wir alle und umarmten uns gegenseitig. Dabei stolperte Enola aus Versehen über Flips Beine. Die beiden fielen lachend auf die Couch. 

Dann, vierzehn Minuten später, kam der Ball durch eine Flanke von Tabea Kemme wieder in den schwedischen Strafraum. Dzsenifer Marozsán fackelte nicht lange. Doch der Ball flog genau gegen die schwedische Verteidigerin Linda Sembrand. „Mist!“, rief Leonie und blieb mit offenem Mund stehen als der Ball von Sembrand ins Tor abprallte. „Toooooor!“, jubelten alle und sprangen wild durcheinander. Der Olympiasieg schien nun für alle klar zu seien. 

Doch fünf Minuten später, in der 67. Spielminute, bekam Stina Blackstenius den Ball und schoss ihn unhaltbar in die linke Ecke des deutschen Tores. Die restlichen 26 Minuten saßen wir alle angespannt auf dem Sofa. Dann wurde abgepfiffen.  

„Olympiasieger, Olympiasieger!“, sangen alle wild durcheinander und tanzten durchs ganze Wohnzimmer. Als wir abends in Leonies Zimmer lagen, waren sich alle einig. Dieser Sommer war ein toller Sommer und trotz aller Hindernisse super.  Nächste Saison, entschieden wir, wollten wir genauso super spielen wie die Deutschen. „Genau!“, grinste mein Zwilling. „Irgendwann sind wir dann auch Olympiasieger.“ Wir klatschten uns alle gegenseitig ab. Und träumten vom Olympiastadion.  

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