Ein magischer Sommer
Ein magischer Sommer

Ein magischer Sommer

Am schönsten Strand in Kalifornien, wo die Schönheit nie verblassen würde, saß ein dreizehnjähriges Mädchen. Ihr Name war Isabel. Isabel war gerade dabei, aufs große weite Meer zu schauen, damit ihr Kummer sich endlich legte. Vor sechs Monaten wurde ihr bester Freund Lolli von einem Auto angefahren. Das war ihr Hund, ihr bester Freund. Es war schon lange her, aber es tat immer noch sehr weh. Die Verletzung nach dem Unfall war zu groß und letztendlich haben die Ärzte ihr Bestes gegeben, doch es reichte einfach nicht mehr. Wenn Lolli vor Isabel stand, war sie immer glücklicher als vorher, egal ob eine Minute vorher noch etwas Schlechtes passiert ist. Sie schaute ins Wasser. Statt ihrem eigenen Spiegelbild sah sie das ihres Hundes. So konnte sie wenigstens mit seinem Spiegelbild reden.

„Wenn du bloß wüsstest, wie sehr ich dich vermisse. Ich hatte dich doch lieb, mehr als alles andere. Also warum bist du gegangen?“, fragte sie. Andere Leute, die in dem Moment ein Spaziergang machten, schauten Isabel mit verwirrten Augen an und fragten sich, warum sie mit dem Wasser sprach. Doch das war ihr nicht wichtig.

„Tut mir leid, Lolli. Es ist schon spät. Ich muss ins Bett. Schlaf schön!“, verabschiedete sie sich und wollte gerade nach Hause rennen, als sie bemerkte, dass jemand direkt hinter ihr stand. Als Isabel sich erhob und sich umdrehte, knallte sie direkt gegen diese Person. Sofort stieg rote Farbe in ihr Gesicht. „Upppsssiii!!! Mann, wie peinlich! Tut mir leid! Warte mal, wie lange stehst du da schon? Belauschst du uns etwa?!“, rief sie empört. Mit einer verdutzten Miene starrte der Junge sie an. „Euch? Da ist doch niemand“, meinte er. Tatsächlich war Lollis Spiegelbild weg, nicht einmal Isabel selbst konnte es noch sehen. Mit misstrauischen Augen musterte Isabel den Jungen, der vor ihr stand. Er hatte etwas zerzauste Haare und sah gar nicht mal so vernünftig aus. Sein Gesicht sah so süß aus wie das eines Grundschulkindes, aber sie schätzte ihn auf 14 Jahre. Isabel fragte: „Wer bist du überhaupt?“ „Ich bin Lian. Wie heißt die vor mir stehende Schönheit?“, fragte Lian zurück. Wieder wurde Isabels Gesicht rosa.

„Was fällt dir ein?! Ich bin Isabel Greene und du bist nervig!“, rief sie aufgebracht. Dann rannte sie nach Hause. Lian lächelte ihr hinterher. „Mädchen!“

Auf dem Weg nach Hause war Isabel die ganze Situation echt peinlich und sie fand, sie hatte überreagiert. „Mist, der letzte Satz klang so eingebildet!“, beschwerte sie sich bei sich selbst. Dann stand ihr Haus auch schon vor ihrer Nase. Isabel trat hinein und lief sofort nach oben. Als sie im Bett war, vermisste sie erneut das Gefühl, einen besten Freund immer um sich herum zu haben. Doch sie versuchte nicht weiter darüber nachzudenken. Morgen war Schule, und ihre Eltern, Janne und Tom, wollten, dass sie vorbereitet war. Nach ein paar Minuten fielen Isabels Augen auch schon zu.

Am nächsten Morgen wachte Isabel im Morgenlicht auf. Genauer gesagt wurde sie aufgeweckt, nämlich von ihrer Schwester Juliane. „Wach endlich auf, du Schlafmütze! Für den Fall, dass du es noch nicht bemerkt hast: Schule steht vor der Tür! Wir müssen noch Zähne putzen, um gut und frisch in den Tag zu starten. Heute ist mein erster Tag in der Grundschule und ich kann nicht deinetwegen zu spät kommen! Niemals!“ Doch Isabel entgegnete nur: „Freu dich mal nicht so auf die Schule. Es wird ziemlich schnell zum Albtraum werden. Glaub mir.“ Nur hörte Juliane gar nicht mehr richtig zu. Sie ist schon halb aus dem Raum rausgerannt. Da stand Isabel auch auf.

„Freut ihr zwei euch schon auf den ersten Tag?“, fragte Janne ihre Töchter. Janne war eine sehr liebende Mutter mit wunderschönem karamellbraunem Haar. Von ihr hatte Isabel ihre Haarfarbe und -struktur. Janne hatte eine sehr zarte Haut und schlichtete fast jeden Streit, den die zwei Schwestern hatten. Sie wollte für immer für das Glück ihrer Kinder sorgen.

„Na ja, geht so…“, fing Isabel an, aber natürlich musste Juliane sie sofort unterbrechen. „Oh ja! Das wird der beste Tag meines Lebens! Ich habe mich schon seit meiner Geburt darauf gefreut!“ Janne lächelte. „Das freut mich sehr, Schatz“, sagte sie. Tom rief vom Flur aus: „So meine Prinzessinnen, es geht los! Kommt her!“ Juliane sprang sofort vom Stuhl, sodass fast der Tisch umgekippt wäre. „Kannst du nicht mal aufpassen?“, stöhnte Isabel. Sie verabschiedete sich noch von ihrer Mutter. „Tschüss, Mama. Hab dich lieb.“ Janne antwortete: „Ich dich auch, Süße. Ich wünsche dir viel Spaß in der Schule. Du bist bestimmt aufgeregt deine Freunde wieder zu sehen, oder?“ Isabel nickte. Sie rannte zum Auto und ihr Vater fuhr los.

„Und? Wie waren deine Ferien? Rate mal! Wir waren in Frankreich und haben den Eiffelturm gesehen! Ich und meine Familie waren außerdem in dem besten Restaurant der Welt“, erzählte Lorella, Isabels beste Freundin. Isabel sagte: „Ja, meine Ferien waren ganz gut.“ Lorella verstand sofort, dass etwas nicht stimmte. „Okay, irgendwas ist ganz und gar nicht okay. Sonst erzählst du immer jedes einzelne Detail, aber heute nicht?“ Isabel senkte den Blick. „Es ist nur so… mein Hund musste eingeschläfert werden und das ist immer noch sehr schwer für mich“, sagte sie, doch die Worte kamen ihr ganz schwer über die Lippen. Lorellas Blick wurde traurig. „Das hast du mir schon einmal erzählt. Das tut mir so leid für dich.“

„Aber es ist schließlich nicht deine Schuld“, sagte Isabel und versuchte möglichst locker zu klingen, „er war halt nur mein bester Freund.“ Doch da meinte Lorella: „Hä? Das soll jetzt nicht eifersüchtig klingen, aber ich dachte, ich wäre deine beste Freundin?!“ Isabel rollte genervt mit den Augen. „Ja, du bist meine beste FreundIN und er ist mein bester Freund“, erklärte sie, „komm jetzt! Schulversammlung!“

In der Aula angekommen setzten Lorella und Isabel sich auf zwei freie Stühle. Die Aula war sehr herzlich geschmückt und Isabel wusste auch wieso. In ein paar Tagen sollte es eine Feier geben, um das neue Schuljahr zu ehren. Die Schuldirektorin stellte sich vor all den Schülern auf und als endlich Stille einkehrte, begann sie zu reden: „Hallo, Schüler und Schülerinnen! Ich hoffe sehr, dass ihr alle wundervolle Ferien hattet. Doch nun fängt die Schule wieder an und zu Beginn wollte ich euch allen jemanden vorstellen.“

Aus dem Schatten kam ein Junge. Ein allzu bekannter Junge. „Lian…?“, war Isabels einzige Äußerung. Lorella schaute sie an. „Was ist denn los?“

„Ach, nichts“, meinte Isabel. Verfolgte dieser Junge sie etwa? Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihr aus und nichts drang mehr zu ihr durch. Sie hatte keine Ahnung, wieso, aber sie verließ ihren Platz, um auf die Bühne zu schleichen. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass sie es tun sollte. Sie fühlte sich nicht mehr sicher. Ganz langsam krabbelte sie hinter die Bühne und versuchte, den Blick ihrer Freundin zu ignorieren. Hinter der Bühne versuchte, sie irgendwas Verdächtiges zu erspähen, fand aber nichts. Isabel wollte schon weggehen, doch leider verfing ihr Bein sich im Kabel. „Nein! Mist!“, fluchte sie und Panik stieg in ihr hoch. Gerade sah es so aus, als würde sie entkommen, als das Kabel aus der Steckdose rausrutschte und Isabel die Stimme der Direktorin nicht mehr hören konnte. „Nein, verdammt! Das Mikrofon…!“

„Miss Greene! Wie wär‘s damit, du erklärst mir jetzt mal, was hier los ist?“ Und eine Sekunde später saß sie im Schulleiterdienstzimmer. „Was genau hast du da gemacht? Das war etwas respektlos gegenüber unserem neuen Schüler, findest du nicht?“, fragte die Direktorin, Miss Annoy, voller Verachtung. Isabel ist ihr zu tollpatschig und zu nervig. Aber von der Schule schmeißen kann sie sie nicht, da Isabel meistens super Noten hat.

Meistens.

 

 

„Es tut mir leid. Ich wollte gar nicht respektlos gegenüber dem neuen Schüler sein. Ich wollte nur…“ Doch Miss Annoy fiel ihr ins Wort.

 „»Ich wollte nur…« ich weiß. Immer willst du nur aber… Ach, bitte, geh bitte einfach raus“, befahl Miss Annoy gedämpft. Da stand Isabel auf. Vor der Tür wartete Lorella schon auf sie. „Du bist lebend entkommen! Was ein Wunder! Was war eigentlich mit dir los? Was ist schon den ganzen Tag mit dir los?! Du erzählst mir nichts! Aber du kannst mir vertrauen. Versprochen“, sagte Lorella und klang plötzlich total besorgt. Isabel schenkte ihr ein Lächeln und meinte: „Es ist wirklich alles okay. Wirklich alles.“ Leider sah Lorella überhaupt nicht überzeugt aus. Und irgendwie auch enttäuscht. Da fügte Isabel schnell hinzu: „Aber ich vertraue dir natürlich.“ Da gab auch Lorella ein trauriges Lächeln von sich und verließ den Flur. Innerlich fühlte Isabel sich sehr schlecht. Sie wusste, dass sie Lorellas Gefühle verletzt hatte. Auf dem Weg in die Cafeteria machte sie sich auch noch über den Vorfall in der Aula Gedanken. Was war ihr denn da in den Sinn gekommen? Niemand würde versuchen, ein normales, tollpatschiges Mädchen zu verfolgen. In der Cafeteria setzte Isabel sich einfach irgendwo hin. Und ehe sie sich versah, setzte jemand sich neben sie.

„Was ist los, Zuckerkloß?“, fragte Lian. Isabel entgegnete nur: „Lass mich in Ruhe.“ Für einen kurzen Moment schwiegen beide. Dann wandte Lian ein: „Du fühlst dich gerade bestimmt sehr blamiert, oder?“ Isabel sah ihn aus dem Seitenwinkel und statt ihn anzuzicken, blieb sie erst einmal ruhig. Sie wollte nicht noch etwas falsch machen. „Also“, begann sie, „mein Hund ist gestorben und das bedrückt mich schon lange. Am ersten Schultag passiert mir dann auch noch etwas extrem Peinliches, was die ganze Schule mitbekommen hat und das nur, weil ich dachte, dass da jemand wäre, der mich verfolgt. Die Direktorin hat mal wieder einen Grund, wütend auf mich zu sein, und jetzt habe ich meine Freundin enttäuscht, indem ich ihr quasi gesagt habe, dass ich ihr nicht vertraue!“ Isabel war überrascht, dass sie das alles so frei vor Lian ausplaudern konnte und wünschte sich auch schon, sie konnte es zurücknehmen.

Doch zu ihrer Überraschung legte Lian seine Hand auf ihre Schulter. „Ja, das muss viel Druck sein. Ich verstehe es.“ Eigentlich wollte Isabel es nicht zugeben, doch diese Wörter waren total nett. „Danke“, murmelte sie nur.

„Wenn du je jemanden brauchst, der mit dir redet, kannst du jeder Zeit zu mir kommen“, sagte Lian. Von einem Moment auf den anderen war Isabel etwas glücklicher. Genau wie bei Lolli.

Als die Klingel läutete, schrien alle herum und freuten sich schon auf zu Hause, obwohl es gerade mal der erste Schultag war. Isabel verabschiedete sich von ihrer besten Freundin.

„Tschüss, Lolo! Bis morgen.“

„Tschüss, Isa!“

Sie stieg ins Auto. Tom hatte gerade Juliane abgeholt und Isabel würde sich wohl noch dran gewöhnen müssen, dass sie ab dem Tag jedes Mal mit ihrer nervigen Schwester nach Hause fahren musste. „Wie war die Schule?“, fragte Tom, während er sein Lieblingslied laufen ließ. „Also..“, wollte Isabel gerade erzählen als ihr Juliane ihr mal wieder zuvorkam. „Es war so toll, Papa. Ich hatte so viel Spaß! Unsere Lehrerin, Miss Kurikara, ist so nett und ich habe schon zwei Freundinnen gefunden. Sie heißen Ciara und Candy. Zwillinge sind es und die zwei sind echt toll!“

Isabel räusperte sich. „Dürfte ich auch mal reden?“, fragte sie ungeduldig. Ohne auf eine Antwort zu warten, legte sie auch schon los: „Also, heute sind ein paar… peinliche Sachen passiert. Es gab schon einen kleinen Unfall auf der Bühne, als der neue Junge vorgestellt wurde.“ Sofort interessierte Tom sich für die Erzählung seiner Tochter. Er fragte: „Ein neuer Junge? Wie aufregend! Wie heißt er?“ Isabel antwortete: „Sein Name ist Lian. Als er in der Aula vorgestellt wurde, dachte ich erst einmal er würde mich verfolgen. Dann geschah eins nach dem anderen… ich will ehrlich gesagt gar nicht genauer darauf eingehen.“

„Warte einen Moment! Du dachtest, er würde dich verfolgen? Wieso?“

Isabel schämte sich wirklich sehr über die vergangenen Ereignisse. „Ja, die Wahrheit ist, dass ich diesen Jungen schon gestern Abend am Strand getroffen habe. Ich war ein wenig genervt von ihm, weil er meinte, ich hätte zu niemanden gesprochen.“

Tom seufzte und sagte: „Ich weiß, dass dich so etwas aufwühlt, aber deswegen muss Lian dich nicht unbedingt verfolgen. Das war doch nur Zufall. Lass mich raten: Miss Annoy war bestimmt wieder wütend. Ich weiß wirklich nicht, was sie hat, aber es liegt nicht an dir.“ Sie nickte, doch eigentlich war sie anderer Meinung.

Am nächsten Tag, dem Dienstag, war Isabels schlimmstes Fach dran. Physik! Eigentlich war es ja ganz interessant, aber sie war nicht gut darin. Lorella auch nicht. Und das war ausgerechnet das erste Fach am zweiten Schultag. Isabel setzte sich auf ihren Stuhl in der Hoffnung, dass es nicht so schlimm werden würde. „Hallo, Schülerinnen und Schüler! Ihr hattet hoffentlich tolle Ferien. Doch es gibt nichts Besseres als die Woche mit Physik zu starten!“, begrüßte Mr. Laurence die Kinder ganz herzlich. Ein Chor des Stöhnens breitete sich im Klassenraum aus. Mr. Laurence war zwar nett und ein guter Lehrer, aber niemand in der Klasse mochte Physik. „Och Kinder! Ich habe geglaubt, dass ihr Physik dieses Jahr etwas mehr wertschätzen würdet als letztes Jahr. Aber ich weiß, wie ich euch dazu bringen kann, Physik zu lieben. Ich habe nämlich schon seit Wochen einen Ausflug geplant. Na, was sagt ihr jetzt?“, rief Mr. Laurence triumphierend. Da hatte er auch alle Aufmerksamkeit bekommen und eine Sekunde schrien alle vor Freude. „Ja, Kinder. Es ist alles gut. Wollt ihr nicht erst einmal hören, wo es hingeht? Tja, euer netter Lehrer will seine sehr nervige Klasse mit in ein Museum nehmen. Bevor ihr jetzt denkt: »Oh mein Gott, wie langweilig!«, will ich euch kurz erzählen, worum es genau geht. Also, die Menschheit ist, wie ihr wisst, schon unglaublich weit gekommen. Wir Menschen haben angefangen, Dinge zu erfinden. Wir haben uns selbst weiterentwickelt. Und nun hat die Menschheit uns noch einen Schritt vorausgebracht. Es gibt eine neue Erfindung!“, sagte Mr. Laurence voller Stolz. Doch die Schüler wurden langsam ungeduldig. „Haben Sie jetzt endlich vor, uns zu erzählen, was genau diese tolle Erfindung macht?“, rief ein Junge namens Jason rein. Er war einer der Jungs, die sich selbst für so unglaublich cool hielten. Er wollte immer, dass sich alles um ihn drehte und er alle Mädchen abkriegt. Bei den Jungs galt er als einer der coolsten, aber die Mädchen kann er nicht so schnell beeindrucken. Mr. Laurence meinte, etwas gedämpft: „Ja, ja, ist ja gut. Sagen wir es mal so: Nächsten Dienstag werdet ihr herausfinden, wer ihr in eurem früheren Leben Mal gewesen seid. Seid ihr nicht schon gespannt zu sehen, wessen Wiedergeburt ihr seid?“ Alle jubelten. Auch Lorella und Isabel taten es, aber natürlich musste Arilissa alles verderben, indem sie einen ihrer eingebildeten Sprüche fallen ließ: „Wow, wie toll! Ich war in meinem früheren Leben bestimmt eine Prinzessin oder irgendjemand anderes Bedeutendes. Ich bin eine geborene Schönheit!“ Ein paar Mädchen murmelten etwas. Arilissa war bekanntlich eine totale Angeberin. Sie liebte es, ihre langen, blonden Haare zu schütteln, und war extrem eingebildet. Aber die Mehrheit der Mädchen aus Isabels Klasse fanden sie so schön und bezaubernd. Lorella war über ihren Spruch nicht sehr begeistert und das zeigte sie auch. „Ja klar! Immer bist du die Bessere! Was soll‘s? Jeder in der Klasse weiß, dass du besonders bist. Eine besondere Zicke!“ Da lachte jeder. In dem Moment bemerkte Isabel, wie stolz sie auf ihre Freundin war. Und das nicht, weil sie Arilissa ärgern konnte. Sondern weil sie sich nicht einfach unterkriegen lässt und für die Leute einsteht, die sie gern hatte. Natürlich machte es aber auch Spaß, Arilissas verdutzte Miene zu sehen.

 

In der Mittagspause wirbelte Isabel durch die Cafeteria – einfach, weil sie sich so auf den Ausflug freute. Sie drehte sich und drehte sich und passte überhaupt nicht auf wo sie hinging. Deshalb erschrak sie auch, als sie plötzlich gegen jemanden knallte. Gegen den Gleichen. Als sie zu Lian hochschaute, wünschte sie sich, sie könnte im Boden versinken. „Es tut mir so leid…“, entschuldigte sie sich und versuchte, Lian nicht in die Augen zu sehen. Doch wie immer lächelte er nur. Er fragte: „Kann es sein, dass du dazu tendierst, nicht nach vorne zu gucken?“ Da schoss Isabel ihm einen etwas genervten Blick zu. Sie hatte ja schließlich auch keine Lust, ständig gegen jemanden zu laufen.

„Setzen wir uns an einen Tisch?“, fragte Lian. Eigentlich wollte sie nein sagen, weil Lorella auch da sein würde und sie auf keinen falschen Gedanken kommen sollte. Aber in Wirklichkeit wollte sie wohl mit ihm an einem Tisch sitzen und sie wusste nicht einmal wirklich, wieso. Sie entschied sich, einzuwilligen. Am Tisch angekommen war Lorella Feuer und Flamme. „Seid ihr ein Paar?! Das hast du mir noch gar nicht erzählt!“, schrie sie durch die ganze Cafeteria. Isabel befahl: „Jetzt sei mal still! Es ist nicht so, als müsste das jeder wissen. Vor allem deswegen, weil es nicht einmal stimmt. Wir kennen uns doch gar nicht wirklich.“ Doch leider wandte Lian ein: „Du hast Recht. Es wird höchste Zeit, dass wir einander mal besser kennenlernen.“ Isabel war das einfach unendlich peinlich und sie fragte sich, warum es Lian nicht genauso ging. „Ja, vielleicht ein andermal…“, murmelte sie. Plötzlich begannen ihre Lippen sich von selbst zu bewegen und sprachen: „Willst du nach der Schule vielleicht zu mir nach Hause kommen?“ Für ein paar Sekunden schwiegen alle. Lorella wahrscheinlich, weil sie vor Spannung bald platzte, und Lian, weil er sich innerlich erst einmal freuen musste. Nach gefühlt einer Ewigkeit antwortete er endlich: „Ja!“ Isabel brachte ein Lächeln über die Lippen. Lorella sah immer noch so aus, als mochte sie vor Aufregung explodieren. Sie flüsterte Isabel zu: „Du weißt, dass  für den Fall, dass du doch mal in ihn verknallt wärst, du könntest es mir immer erzählen. Am besten wär’s, du erzählst mir einfach alles was heute Nachmittag passiert, okay?“ Sie setzte einen bittenden Blick auf. Isabel stimmte zu.

Als Tom nach der Schule kam, um Isabel abzuholen, war er sehr überrascht, Lian zu sehen. Er fing an, die beiden mit Fragen zu löchern. „Wie geht es mit euch zwei so voran?“, fragte er neugierig. Sofort rief Isabel etwas lauter als beabsichtigt: „Wir sind doch überhaupt nicht ineinander verknallt!“ Juliane kicherte. Offensichtlich fand sie das sehr amüsant. „Hör auf es abzustreiten! Es ist offensichtlich, dass ihr zusammenkommen werdet“, neckte Juliane ihre Schwester. Tom freute sich: „Ich muss das deiner Mutter erzählen! Sie wird so glücklich sein, wenn sie herausfindet, dass ihre Tochter ihr wahres Glück gefunden hat!“ Isabel gab auf. Warum verstand das niemand? Sie versuchte einfach das ganze weitere Gerede zu ignorieren.

Als sie zu Hause angekommen sind, betraten sie das Haus. „Wow, richtig schönes Haus, das ihr da habt. Ihr habt ja richtig Glück so nah am Strand zu wohnen“ staunte Lian. Isabel zog ihn hoch in ihr Zimmer, bevor sie ihrer Mutter begegnete. Das konnte sie sich auch noch später anhören.

Doch im nächsten Moment wusste sie nicht einmal, was sie zu Lian sagen sollte. Das wurde immer unangenehmer. Endlich brach Lian die Stille: „Wollen wir in den Garten gehen, um dort in Ruhe zu reden?“ Das war gut. Solange konnte Isabel sich überlegen worüber sie sprechen konnte. Draußen setzten die zwei sich auf Liegestühle, die die Greenes im Garten stehen haben. Langsam wurde die ganze Situation ein wenig gemütlicher. Da fing Isabel an: „Also, meine Familie hast du ja bereits getroffen. Und bevor du jetzt denkst, dass sie super aufdringlich sind: Normalerweise sind sie nicht so. Meine Eltern wollen einfach nur das Beste. Aber Juliane…“ Lian entwich ein Lachen und vollendete den Satz: „…ist furchtbar nervig und mischt sich ständig ein.“ Isabel starrte ihn ungläubig an. „Ja, da hast du Recht, Gedankenleser. Zum Beispiel hat sie als sie drei war sich in mein Zimmer geschlichen und einen Haufen meiner Sachen aus dem Fenster in den Pool geworfen. Danach hat sie ihren ganz unschuldigen Blick aufgesetzt. Und es gab nicht einmal Ärger!“

Lian strahlte.

„Ich habe genau das gleiche Problem! Wer will, dass sein siebenjähriger Bruder einen in den Pool schubst und dann hinterher springt? Auf mich drauf!“ Isabel lachte. Sie kannte das genau. „Was ist heute eigentlich mit Miss Annoy passiert?“, fragte Lian. Isabel antwortete, nun ganz locker: „Ach, sie war Mal wieder wütend auf mich. Aber sie fand keine Worte, da ich ihrer Meinung ja so nervig und tollpatschig wäre. Ich sollte es mir nicht zu Herzen nehmen.“ In dem Moment passierte etwas, das Isabel nicht gedacht hätte: Lian legte seine Hand auf ihre! Doch zur Abwechslung fand sie das gar nicht so schlimm. Er sagte: „Das solltest du auch nicht. Ich bin mir sicher, dass viele Leute gar nicht ihrer Meinung sind.“ Isabel begriff, dass er wirklich nicht gemein war.

„Wir gehen nächsten Dienstag in ein Museum. Mit unserem Physiklehrer. Ich kann mir die Klasse 8b auf einem Ausflug kaum vorstellen. Mr. Laurence hatte nämlich Recht: Wir sind eine nervige Klasse.“

Lian setzte sich kerzengerade auf.

„Ihr auch? Ich glaube unsere Klassen gehen zusammen. Wir gehen genau am selben Tag ins Museum.“ Isabel sprühte vor Freude. Das war doch voll cool! „Weißt du, ich liebe es, in den Pool zu gehen. An so schönen Abenden, wo die Sonne erst spät untergeht, mache ich auch gerne Pool Partys. Ich … wollte dich fragen, ob du kommen möchtest. Sie ist am neunzehnten August.“ Lians Gesichtsausdruck wurde auf einmal enttäuscht.

„Ich bin mir nicht sicher. An dem Tag habe ich ein Fußballspiel. Eigentlich würde ich so etwas gar nicht vor deine Party ziehen, wenn es nicht das Schul-FS wäre. Das ist das Fußballspiel. Wir repräsentieren die Schule.“ Eigentlich war Isabel enttäuscht, aber es war für die Schule. Außerdem wollte sie nicht auch noch so tun, als wären sie ein Paar. Das Ganze sollte sie gar nicht so ernst nehmen. „Aber ich könnte nach dem Fußballspiel vielleicht noch ganz schnell zu dir fahren und dann könnte ich mich etwas später noch anschließen“, fügte Lian hinzu. Ein Gefühl von Hoffnung breitete sich in Isabel aus.

„Das wäre toll!“

„Wie viel Uhr?“

„17:10 Uhr bis 22:10 Uhr“

Und plötzlich: PLATSCH!

„Hä?! Wer war das?!“, schrie Isabel verwundert über das ganze Wasser, dass auf sie herabfiel. Auch wenn sie schon einen leichten Verdacht hatte. Sie schaute nach oben auf die Veranda. Dort stand Juliane mit einem lehren Eimer. „Ha, ha! Ich habe das Liebespärchen erwischt. Das wird ein Hit! Jetzt muss ich es nur noch allen erzählen! Hi, hi!“ Eine Sekunde später erntete sie einen bösen Blick von Isabel. Juliane bekam sofort Angst. „Okay, okay. Tut mir leid. Ich mach’s nicht noch einmal“, versprach sie und zog sich zurück.

„Ich glaube, ich sollte gehen. Hab noch ein paar Dinge zu erledigen“, sagte Lian plötzlich. Isabel antwortete: „Klar, mach das. Wir sehen uns morgen.“ Lian lächelte noch einmal und verließ dann den Garten. Als nichts mehr von ihm in Sicht war lief Isabel ganz aufgeregt in ihr Zimmer. Von einem Tag auf den anderen war er ihr total sympathisch geworden! Das freute sie sehr. Es war schon 21:51 Uhr und Isabel war auch schon sehr müde. Und noch bevor ihre Mutter nachfragen könnte, wie es mit Lian gelaufen ist, schlief sie auch schon.

 

Endlich Dienstag! Der Tag, an dem Isabel endlich herausfand, wer sie Mal gewesen ist und wer ihr Seelenverwandter ist. Ja, auch das konnte so eine Maschine machen. Und noch dazu: Ihre Klasse war nicht allein. Die 9a würde auch dort hinkommen und Isabel würde einen ganzen Tag mit Lian zusammen sein. Sie versuchte extra schnell zu essen, damit es möglichst schnell in die Schule ging. Sogar Juliane hatte sie neidisch gemacht. „Du brauchst wirklich nicht durch das Haus zu tanzen. Ich glaube, wir haben alle bemerkt, dass ihr heute einen Ausflug macht. Brauchst wirklich nicht so anzugeben. WIRKLICH NICHT!!!“, rief sie wütend. „Ach, du bist doch sowieso nur neidisch, dass eure Klasse nicht geht. Achso, das hätte ich fast vergessen“, sagte Isabel und verschwand für einen kurzen Moment. Dann kam sie mit einer Halskette zurück. Sie war aufwendig verziert und beschmückt mit Perlen und Diamanten. In der Mitte befand sich ein rosafarbenes Juwel. Als Juliane Isabel mit der Kette kommen sah, wurde ihr Blick noch finsterer.

„Woher hast du diese Kette?! Du sagst immer, du weißt es nicht, aber ich wette, du lügst!“ Janne betrat den Raum. „Da liegst du leider falsch, Süße. Deine Schwester hatte diese Kette schon in der Hand als sie geboren wurde. Ich weiß nicht wie das möglich ist, aber sie hat die Kette nicht wieder rausgerückt. Ich habe nachgelesen und es ist angeblich das Amulett eines Engels. Aber ich wusste schon immer, dass du ein Engel bist, Isabel. Du auch, Juli.“ Isabel machte ein hochnäsiges Gesicht. Sie sah fast so aus wie Arilissa, wenn sie sich mal wieder super toll fand. „Und? Du hast die Wette verloren. Was bekomme ich jetzt?“, ärgerte Isabel Juliane. Tom kam in das Esszimmer und kündigte an: „Sooo, die Kutsche ist bereit. Ich habe schon Bescheid gesagt, dass sie Prinzessin Juliane bitte zum Schloss Seaside school fahren soll und Prinzessin Isabel gerne in die Vergangenheit möchte. Steigt ein!“, trillerte er. Ja, eigentlich reiste Isabel ja wirklich in der Zeit. Als Isabel im Auto saß, war sie schon ganz nervös und zappelig. Was würde in der Maschine wohl passieren? Mr. Laurence meinte, dass man da in die Maschine rein gehen müsste. Würde das weh tun? Irgendwie gefiel Isabel die Vorstellung nicht. „Mach dir keinen Kopf. Das wird doch bestimmt ein toller Tag. Du musst mir nachher sagen, wer du bist. Ich bin gespannt“, heiterte Tom sie auf. Doch Isabel war etwas genervt. Immer musste sie ihren Eltern alles erzählen, selbst wenn sie es mal gar nicht wollte. Sie kam fast nie drum herum. Die „Kutsche“ hielt vor der Schule an und Isabel stieg aus. „Viel Spaß auf dem Ausflug! Du hast alles, oder? Deinen Rucksack, gefüllt mit Essen, Snacks, Handy falls was sein sollte, Bücher was allerdings die Idee deiner Mutter war…“ Isabel unterbrach ihn: „Ja, alles super. Das geht schon. Und das mit den Büchern ist vielleicht ein wenig übertrieben.“ Tom nickte und fuhr weg. Isabel betrat das Schulgebäude. Natürlich würden beide Klassen sich erst einmal im Physikraum treffen, bevor es wirklich losging. Das Tolle war, dass die Physiklehrerin der 9a auch kam. Es war Miss Lisic und sie war sehr nett. In Raum 133 angekommen, erwartete Isabel aber eine böse Überraschung.

„Es tut mir leid, Kinder. Miss Lisic ist heute leider nicht anwesend.“

Lautes Stöhnen breitete sich schon wieder überall aus.

„Hey, fangt nicht immer sofort mit dem Stöhnen an! Keine Sorge, es gibt eine Vertretung.“

Jetzt konnten die Schüler nur noch hoffen, dass es vielleicht Miss Ayce oder Mr. Ochin war. Aber auf gar keinen Fall Miss Maryn! Mr. Laurence sagte: „Es ist eure einzigartige Direktorin, Miss Annoy! Seht ihr? Es ist doch gar nicht so schlimm. Alles fein.“ Nicht so schlimm?! Alles fein?! Das war ja noch schlimmer als Miss Maryn!  Auf jeden Fall für Isabel. Lorella flüsterte: „Du hast ein Problem…“ Sie hatte Recht. Unbemerkt schoss Miss Annoy Isabel einen misstrauischen Blick zu. Isabel beschloss, ihr nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen. Das war das Beste für beide. In der Sekunde fiel Isabel Arilissas selbstgefälliges Lächeln ins Auge. Eigentlich fiel ihr in dem Moment auf, dass alle sie anstarrten. Es war schließlich in allen achten Klassen bekannt, dass Miss Annoy sie nicht ausstehen konnte. Und nach dem Zwischenfall auf der Bühne am ersten Schultag wusste es wahrscheinlich die ganze Schule. Ein Gefühl von Peinlichkeit stieg in Isabel hoch, aber sie schob es schnell beiseite. Sie wollte sich keine Sorgen machen. Danach wurden noch ein paar Minuten gewartet und dann ging es los.

Lorella war schon ganz aufgeregt. „Zur Abwechslung wird Physik endlich mal richtig spannend!“, freute sie sich. Im Bus fuhren die Klassen 15 Minuten lang und hielten anschließend vor einem großen Gebäude das wirklich sehr beeindruckende Sehenswürdigkeiten haben musste. Das Gebäude selbst war schon unglaublich schön. Es bestand aus Säulen mit gedrehter Form und glänzte mit den vielen großen Glastüren. Das Museum sah fast wie eine Villa aus. Die Schüler und Schülerinnen gingen durch die Tür am Eingang. Ein Mann begrüßte sie: „Hallo ihr alle! Ich habe jetzt schon vieles von euch gehört. Ihr seid die 8b und die 9a, oder? Tja, es freut mich euch kennenzulernen. Heute werdet ihr eine äußerst unglaubliche Erfindung der Menschheit sehen. Und ihr werdet sie selbst ausprobieren. Ach, ihr Glücklichen. Tatsächlich sind ihr einige der ersten Besucher, die wir haben, seit die Erfindung hier aufgetaucht ist. Also, ich glaube, es wird langsam Zeit anzufangen. Ich bin Noah Garcias. Nennt mich einfach Noah. Ich werde euch heute herumführen. So, wollt ihr jetzt anfangen?“ Alle gleichzeitig jubelten die Klassen: „Jaaa!“

Die Klassen 8b und 9a liefen durch das Museum. Die Ausstellungen waren sehr interessant, aber Isabel verlor langsam die Geduld. Sie wollte endlich die Maschine sehen, die ihr die größte Frage beantworten konnte. Außerdem hatte sie noch gar nicht geschaut, wo Lian sein könnte. Sie hoffte inständig, dass er nicht krank war. Oder dass irgendwas Schlimmes passiert wäre. Aber warum sollte es überhaupt so kommen? Sie hatte wahrscheinlich einfach nur völlig den Überblick verloren und wollte sich gerade nach ihm umschauen als…

BUMM!

„Nein, bitte nicht. Bitte sag mir nicht, ich habe es schon wieder getan…“ Isabel schaute hoch. Natürlich, wie sollte es auch anders sein? Lian.

„Oh, Mist, Mist, Mist! Schon wieder! Tut mir leid“, entschuldigte sie sich wieder ganz beschämt. „Ach, ich habe mich schon längst dran gewöhnt.“ Isabel war sich nicht sicher, ob ihr diese Aussage gefiel. Aber es störte sie nicht so sehr. Sie blickte um die Ecke, die sie neugierig gemacht hatte. „Schau mal. Ein geschlossener Raum. Hier hängt ein Schild“, bemerkte Isabel.

Dort stand: „Aufgrund von Gefahren bei Nutzung des Gegenstandes, der sich hier befindet ist dieser Raum gesperrt! Öffnung nur durch Angestellte.“ Dieses Schild diente eigentlich dem Zweck des Warnens, aber es machte Isabel nur noch neugieriger. Sie sagte: „Das ist bestimmt die neue Erfindung. Wie kommen wir jetzt da rein?“ Lian wurde plötzlich total nervös. „Gar nicht! Wir gehen nirgendwo ohne Erlaubnis rein. Komm jetzt! Unsere Klassen sind bestimmt gerade an irgendeiner Station, während wir uns verlaufen haben“, meinte er. Lian hatte zwar Recht, aber Isabel konnte sich Miss Annoy kaum vorstellen, wie sie sich Sorgen um sie machen würde. Würde sie bestimmt auch nicht. Isabel konnte da nicht weg. Ihre Neugier war zu stark und sie musste wissen, wie das funktionierte. Ihr Druck wurde immer stärker und in dem Moment begann ihre Kette zu leuchten und im nächsten konnte man eine Explosion hören. Doch es war keine Explosion. Isabel schloss die Augen und als sie sie wieder öffnete, sah sie wie die Tür in Stücken auf dem Boden lag. Lian runzelte die Stirn. „Was hast du gemacht? Was ist passiert?“, wollte Lian wissen, der immer noch sehr geschockt aussah. Er versuchte schnell Isabel von da weg zu ziehen. Lian meinte: „So, wir haben nichts damit zu tun und wir haben keine Ahnung, was vorgefallen ist. Wir haben die Gruppe nie verlassen und das alles ist nicht passiert. Nie, verstanden?“ Isabel wusste, wie schnell er da weg wollte, und sie wusste auch, dass er Angst hatte. Und sie sah auch nicht ein, dass sie beide dafür in Schwierigkeiten kamen, und das nur, weil ihre Neugier siegte. Ohne sich noch einmal nach Lian umzudrehen, ging sie in den riesigen Raum rein.

„Geh schon mal zurück, ich komme gleich noch hinterher. Versprochen“, rief sie ihm noch zu. Es gab kein Zurück mehr. Das Zimmer war riesig und dunkel. Manche Teile des Bodens waren offen und mit Wasser gefüllt. Es sah richtig magisch aus. Als Isabel hochblickte, konnte sie ihren Augen kaum glauben. Die neue Erfindung stand direkt vor ihr. Es sah aus, wie eine riesige blaue Säule, aber eigentlich war es der Stoff, der einen später analysiert.

Isabel klammerte sich an ihrem Rucksack fest. Sie hatte Angst und wünschte sich, ihr Hund wäre da gewesen. Zwar hätte sie ihn sowieso nicht mitnehmen können, aber er hätte ihr Mut gemacht. „Jetzt gibt es niemanden mehr, der das tut“, flüsterte sie sich selbst zu. Obwohl sie genau wusste, dass das gar nicht stimmte. Sie hatte immer noch ihre Eltern und ihre Schwester. Aber Lolli war auch ein Teil der Familie und dieser Gedanke war zu schwer abzuschütteln. Doch plötzlich legte jemand ihr die Hand auf die Schulter. Es war Lian. „Komm. Du weißt selber, dass es für alle das Beste wäre, wenn wir jetzt einfach gehen“, sagte Lian und wollte sie schon wieder da wegholen. Aber Isabel beharrte: „Ich werde gerufen. Das kann ich spüren.“ Ihr Amulett leuchtete weiter und es wurde klar: Die Kette rief sie. Die Kette wollte sie irgendwo hinlocken. Und da bemerkte sie: Sie hatte keine Angst mehr, solange Lian da war. Er war wie Lolli in Menschenform. Nach kurzem Zögern fragte sie: „Kannst du doch hierbleiben?“ Er seufzte.  Natürlich wurde Isabel klar, dass er immer noch nicht einverstanden war. Also ging sie allein weiter, denn aufgeben würde sie nicht. Doch als sie sich umdrehte, um zu schauen, was genau an der Maschine los war, sah sie das Unvorhersehbare. Ein Abgrund tat sich auf! Die Kette leuchtete so hell, dass Isabel fürchtete, sie würde auch explodieren. Doch in ihr sagte etwas: Das ist dein Test. Beweise, dass du es kannst. Isabel verstand nicht, wie sie das hören konnte oder wer ihr das sagte, aber sie wusste, was zu tun war. Sie rannte geradewegs auf den Abgrund zu.

„Was tust du denn da? Der ist riesig da kommt man nicht drüber! Nimm die Kette ab!“, schrie Lian. Aber Isabel wusste genau, was sie tat. Sie vertraute der Stimme. Die Stimme würde den Test nicht stellen, wenn es gefährlich wäre. Oder?

Bevor sie es sich anders überlegen konnte, sprang sie auch schon. Sie wusste kaum, was in sie gefahren war. Nie hätte sie sich getraut, das zu tun, aber die Stimme begleitete sie. Die Stimme brachte sie zum Fliegen! Plötzlich fühlte Isabel sich unheimlich leicht wie eine Feder. Der Abgrund kam ihr überhaupt nicht mehr gefährlich vor und es war, als würde sie ganz normal laufen. Ihr war klar: Das war kein Sprung. Das war magisch. Sanft landete sie mit den Füßen auf der anderen Seite und der Abgrund schloss sich.

„Unglaublich“, hauchte Lian. Auch er trat der Maschine endlich näher. Der Stolz breitete sich in Isabel aus. Sie hatte es geschafft und konnte endlich sehen, wer sie einmal war. Eigentlich konnte sie auch noch warten, bis die Station an der Tour drankam, aber dafür hatte sie doch gearbeitet, deswegen würde sie das auch nutzen. Doch Lian warnte: „Niemals! Das wirst du bereuen! Ich schwöre es dir. Wir haben nicht einmal das Recht, hier zu sein. Das weißt du! Versuch endlich die Neugier aus dem Weg zu schieben und ein bisschen mehr auf Sicherheit zu achten! Bitte.“ Er sah so verzweifelt aus. Aber Isabel dachte, dass bestimmt alles gut werden würde. Außerdem war es schon zu spät. Isabel war schon in der Maschine drin, bereit auf Seelenverwandtschaft und Wiedergeburt getestet zu werden. Das war eine gruselige Vorstellung, aber sie schob sie beiseite. Nichts konnte diesen Moment noch enden. Dann geschah es.

In der Wiedergeburtsmaschine flog Isabel durch den blauen Stoff. Er fühlte sich feucht und weich zugleich an. Aber irgendwas war falsch. Denn sie flog immer höher, ohne dass irgendwas geschah. Plötzlich sah sie Lian, wie er an den Knöpfen rumspielte. „Was machst du da?“, rief sie ihm nach unten. Lian antwortete: „Ich versuche, diese Maschine auszuschalten. Dann hast du nichts mehr, das dich neugierig macht, und wir können endlich verschwinden, bevor es Riesenärger gibt!“ Isabel wurde genervt. Lian konnte manchmal ein echter Spielverderber sein. Aber es gab dieses Zurück, das er so unbedingt wollte, nicht mehr. Außerdem hatte Isabel keine Ahnung, ob sie jetzt überhaupt noch runter konnte. Allmählich bekam sie Angst… und plötzlich…

„Ämmm… Lian…? Was passiert hier gerade? Mir wird echt schwindelig. Ich fühle mich irgendwie so leicht… und einfach so durchgeschüttelt…“, sagte sie. Langsam ging ihre Orientierung verloren und ehe sie sich versah, schlossen sich auch schon ihre Augen. Verzweifelt versuchte Lian, das Geschehnis abzubrechen, aber vergeblich. Kälte breitete sich in dem riesigen Raum aus und Stille kehrte ein.

Obwohl Isabels Augen geschlossen waren und sie nur halb bei Bewusstsein war, spürte sie die Kälte und Dunkelheit. Sie war allein. Es gab nichts, an das sie sich festhalten konnte. Nichts.

Dieses Wort hallte in ihrem Kopf wider und alles schien hoffnungslos. „Jetzt habe ich es endlich verstanden“, sagte sie zu sich selbst, „ich merke nun endlich, dass ich es nicht allein schaffe. Allein scheint alles immer gleich hoffnungslos. Ich brauche doch immer jemanden an meiner Seite. Lian meinte es gut, aber ich war so stur. Es war, als ob ich irgendwie nicht mehr bei Sinnen war. Lian… es tut mir leid.“ Natürlich konnte niemand Isabel hören, aber sie musste das einfach loswerden. Also, auf jeden Fall dachte sie, dass sie niemand hören konnte. Als sie ihre Augen ein wenig öffnete, blickte sie geradewegs in andere Augen. Augen, die ihren sehr ähnlich sahen. So leuchtend braun und so hübsch. „Wer bist du?“, fragte Isabel, die sich noch viel zu wenig konzentrieren konnte, um Angst zu haben. Das Gesicht, das vor ihr stand, sagte nichts, aber es kam ein Lächeln. Endlich brachte es hervor: „Es ist alles okay. Bei mir bist du in Sicherheit.“ Leider fiel es Isabel sehr schwer, das zu glauben, da sie keine Ahnung hatte, wer da vor ihr stand. Ihre Augen öffneten sich komplett und sie erkannte die Gestalt. Es war ein junges Mädchen mit ganz zarter Haut und schönem karamellbraunem Haar. Ihr Kleid war lang und weiß. Über dem Kopf hatte sie etwas gelb Leuchtendes. Isabel fragte: „Ist das ein… Heiligenschein?! Du siehst ja aus wie ich!“ Das Mädchen meinte: „Eigentlich ist da was dran. Du bist ich und ich bin du.“ Isabel verzog das Gesicht.

„Das ist doch wohl ein Witz! Wie willst du denn ich sein?

„Ganz einfach. Du bist meine Wiedergeburt. Es war gar nicht geplant, dass wir uns begegnen, aber weil du ja unbedingt ohne Aufsicht eine gefährliche Maschine ausprobieren musstest, bist du jetzt im Inneren des blauen Stoffs. Das haben die Menschen wohl nicht zu Ende gedacht.“

Isabel fand das unglaublich. Sie stand tatsächlich ihrem vergangenen Ich gegenüber und sie war so nett und ihr total ähnlich. Dafür hatte sie alles gegeben. Die geheimnisvolle Stimme fiel ihr in dem Moment wieder ein.

„Warst du das?“

„Was?“

„Ja, das mit der Stimme. Du hast mich gerufen und deinetwegen bin ich über den Abgrund geflogen, oder? Und es war wegen dir, dass er sich danach wieder schloss, nicht wahr?“

„Ganz genau. All diese Sachen habe ich gemacht ich wusste, dass du dazu in der Lage warst. Aber, dass du geflogen bist, liegt einfach nur daran, dass du die Wiedergeburt eines Engels bist. Und sieh mal einer an…“ Der Engel zeigte auf Isabels Kette. „Was ist damit?“, fragte Isabel. „Das… das… ist ein Engelsamulett! Das ist mein Engelsamulett! Unglaublich!“, staunte der Engel, „behalte es. Es gehört nun dir.“ Isabel blieb der Mund offenstehen. „Was?! Bist du dir sicher? Das gehört dir, ich kann das nicht nehmen“, meinte sie, woraufhin der Engel lachte. „Das soll doch wohl ein Witz sein! Die Kette hattest du seit deiner Geburt. Sie gehört schon die ganze Zeit dir.“ Bevor Isabel antworten konnte, schloss ihr vergangenes Ich die Augen und die Umgebung veränderte sich. Dunkelheit und Stille wichen Helligkeit und Schönheit. Isabel begriff: „Wie ein Paradies… der Himmel… bin ich gestorben?! Oh nein, wie schrecklich! Ich hätte die Maschine nie ausprobieren dürfen.“ Sie war furchtbar bedrückt und versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. „Was? Wie kommst du denn darauf? Mit dir ist alles gut. Ich habe dich hierhergebracht. Tatsächlich weiß ich nicht genau, wie du in diese Dunkelheit von vorhin reingekommen bist, ich weiß nur, dass du mich quasi dorthin gerufen hast.“ Als Isabel das hörte, seufzte sie erleichtert. „Ich habe so viele Fragen. Als Allererstes: Wie kann ich denn bitteschön deine Wiedergeburt sein? Du bist schließlich ein Engel. Die sterben doch nicht, oder?“ Plötzlich schreckte der Engel hoch. „Also, na ja…“, erklärte sie, „damals wurde der Himmel angegriffen. Meine Flügel wurden verletzt und es war schon klar, dass ich nie wieder fliegen könnte. Ich war am Boden zerstört. Doch der Kampf war noch nicht vorbei. Es waren nur noch die stärksten Engel übrig, die es mit der stärksten Waffe noch schaffen konnten, unsere Welt zu retten.“ „Warst du einer der stärksten Engel?“, fragte Isabel schockiert von der Geschichte. Obwohl die Wolken, auf denen sie saßen, so weich waren, konnte sie sich kaum darauf entspannen. Der Engel antwortete: „Denk drüber nach. Wenn du jetzt hier bist, war ich dann einer der stärksten Engel oder nicht?“ Sie antwortete nicht, beide wussten die Antwort schon genau. „Die mächtigsten Engel, die es als einzige es geschafft hatten, fanden meine Kette und beschlossen, sie meiner Wiedergeburt bei Geburt mit auf den Weg zu geben. Weißt du, Engel mögen zwar unsterblich sein, aber sie sind nicht unverwundbar.“ In ihrem Blick konnte man ganz offensichtlich sehen, wie sehr die Erinnerung ihr weh tat. Anfangs war Isabel sich gar nicht sicher, ob sie die Frage, die ihr durch den Kopf schoss, auch wirklich stellen sollte. Sie tat es doch: „Und… warum sind deine Flügel jetzt in Ordnung?“ Schon hatte sie es ausgesprochen, wollte sie es am liebsten schon zurücknehmen. Aber zum Glück schien diese Frage dem Engel nichts auszumachen. „Weil ich ja jetzt nicht mehr richtig existiere. Wie schon gesagt könntest du dann jetzt nicht hier sein. Und außerdem musst du dich nicht scheuen, irgendwelche Fragen zu stellen. Würde ich an deiner Stelle auch. Als Engelskind war ich auch immer neugierig.“

Isabel war froh, dass sie mit ihrem vergangenen Ich über Sachen reden konnte wie mit keinem anderen.

„Warum kam es mir eigentlich so vor, als würde die Kette mich rufen und nicht du?“, fragte sie weiter.

„Ich konnte dich nicht einfach so ansprechen. Die Kette hat meine Stimme an dich weitergeleitet. So, ich habe dir genug erzählt. Du musst mir endlich mal sagen, wo du gelandet bist! Wer sind deine Eltern? Ich meine, meine Eltern?“ Man merkte, wie schnell sie von dem eigentlichen Thema weggleiten wollte.

„Also, meine Eltern sind echt toll. Meine Mutter, Janne, …“

„Janne?! Welche Janne?“

„Ähhmmm… Janne Greene. Sie ist meine Mutter. Meine Traummutter. Sie ist so liebenswert.“ Der Engel lächelte. „Ich weiß. Ich kannte sie“, meinte sie. Ein Staunen breitete sich auf Isabels Gesicht aus. „Das kann nicht wahr sein! Sie hat es mir nie erzählt. Wann habt ihr euch getroffen?“, wollte sie unbedingt wissen. Der Engel sagte: „Als ich drei Jahre alt war, stieg ich ohne Erlaubnis auf die Erde. Ich hätte es nicht machen dürfen, aber ich war nur ein Engelskind. Dort traf ich auf Janne. Sie war zehn Jahre alt. Wie schon gesagt, ich war klein und das Einzige, was ich ihr sagen konnte, war, dass ich ein Engel sei. Sie glaubte mir und half sogar, mich auf der Erde zu tarnen. Von dem Tag an waren wir sehr gute Freundinnen. Für mich war sie so etwas wie eine große Schwester. Als ich dreizehn war, fing der Kampf an. Janne war zwanzig und damit auch erwachsen. Ach, ich wünschte nur, ich hätte ihr noch klarmachen können, dass ich sie nicht im Stich gelassen habe.“ Das Engelsmädchen ließ den Kopf hängen. Isabel hatte viel Mitleid mit ihr. Sie schlug aber vor: „Weißt du was? Wenn ich wieder zu Hause bin, erzähle ich meiner Mutter alles. Sie wird es verstehen. Na ja… wenn ich überhaupt je noch mal nach Hause kommen werde.“ Der Engel ermutigte sie: „Sei zuversichtlich! Du schaffst das schon.“ Sie zauberte Isabel ein Lächeln aufs Gesicht.

„Genau richtig! Zurück zu meiner Erzählung. Du fragst dich bestimmt, mit wem Mama zusammen gekommen ist, oder? Tja, mein Vater ist To…“

„Dein Vater ist Tom Brown, ich weiß. Jetzt besitzt er den Namen Greene. Witzig, dass ihr alle nach Farben benannt seid. Den kannte ich auch. Und ich habe jetzt nichts gegen ihn, aber früher wurde ich ab und zu mal eifersüchtig, weil er so viel Aufmerksamkeit von Janne gekriegt hat. Aber glaub mir, er ist ein netter Kerl. Oh, tut mir leid, das weißt du ja schon.“ Dem Engelchen entwich ein Lachen. Etwas irritiert sprach Isabel weiter: „Ja, okay… auf jeden Fall habe ich auch noch eine Schwester. Juliane nämlich. Und ich sage nur eins: Sechsjährige, nervige Schwester, die sich selbst als Chefin des Hauses ansieht.“ Da freute ihr vergangenes Ich sich: „Ich habe eine Schwester?! Wow, wie toll!“ Isabel stöhnte, wollte aber wirklich nicht ihre Freude verderben. Sie schob noch hinterher: „Du solltest jetzt wirklich mal gehen. Wir hatten überhaupt kein Zeitgefühl und hier oben im Himmel gibt es keine Uhren. Außerdem machen sich all die Leute, die bei dir in deiner Welt sind, schon bestimmt unheimlich viele Sorgen um dich.“ Sie hatte recht. Isabel hatte Lian schon wieder komplett vergessen. Und den ganzen Rest auch. Bestimmt ist Lian direkt zu den Lehrern gerannt und die ganze Klasse wusste Bescheid und Lorella vergoss schon Wasserfälle, die ihren Ursprung aus ihren Augen nahmen…

„Was hast du denn vor? Wie soll ich denn zurückkommen?“, fragte sie. In dem Moment fiel ihr auf, dass sie keine Ahnung hatte. Zum Glück sah das bei ihrem vergangenen Ich anders aus. Es sagte: „Es sollte kein Problem darstellen. Dein Amulett ist stärker, als du denkst. Mit ihm kannst du ein Portal erschaffen, das dich zurückbringt. Und falls du mich je brauchen solltest, kannst du mich mit der Kette rufen. Wir sind alle drei verbunden. Du musst mir noch was sagen. Wie heißt du?“

„Isabel“, antwortete sie.

„Wirklich?! Ich auch! Vielleicht hat Janne dich meinetwegen so genannt. Sie hat mich nie vergessen, oder?“ Das rührte sie zutiefst. Für sie war es der schönste Gedanke seit langem.

„Ich weiß es nicht, aber eine Sache kann ich dir versprechen: Ich werde Mama darauf ansprechen, ich werde sie an dich erinnern! Bestimmt hat sie dich noch nie vergessen“, versprach Isabel. Eine Frage musste sie aber noch stellen, bevor sie in das Portal stieg, das der Engel mittlerweile mit dem Amulett erschaffen hatte: „Wenn du nicht mehr existierst, warum warst du dann heute bei mir?“ „Ich existiere nicht mehr, aber du kannst meinen Geist sehen. Nur du allein. Schließlich bist du ich… und ich bin du“, meinte sie wie am Anfang.

„Na gut. Ich sollte wirklich aufhören, so viele Fragen zu stellen. Meine beste Freundin wartet bestimmt schon. Bis bald… mein vergangenes Ich!“ Mit diesem Satz verschwand Isabel im Portal auf dem Weg zurück zu ihren Freunden und Verwandten.

Isabel wachte vor der großen Maschine auf. Um sie herum standen all ihre Mitschüler inklusive Aufsichtspersonen. Als sie sich aufrichtete, wurde sie schon sofort von Lorella umarmt. „I-Ich habe mir so… sooo furchtbare Sorgen gemacht. Du warst plötzlich verschwunden und Lian kam panisch angerannt. Du warst schon eine Ewigkeit weg! Was ist passiert?“, schluchzte sie mit ganz verweinten Augen. Sofort bekam Isabel Schuldgefühle, dass sie so viel Spaß gehabt hatte, und zwar mit einem Engel während alle sich tierische Sorgen um sie gemacht hatten. Na ja, fast alle. „Ist ja ganz schön, dass es dir gut geht Miss Greene, aber ich habe das Ganze schon kommen sehen. Von dir erwartet man einfach nichts anderes!“, schimpfte Miss Annoy. War ja klar, ihr fällt immer was zum Schimpfen ein. Doch Lorella setzte sich für ihre Freundin ein: „Wow, sie sind wirklich die Beste… und zwar im Rumschimpfen! Vor allem mit Isabel. Alle sind froh, dass sie noch lebt, aber sie sind ständig so, dass sie ja immer Probleme macht. So furchtbar ist sie wirklich nicht. Wir alle lieben sie genauso wie sie ist!“ Dafür war Isabel ihr sehr dankbar. Auch Miss Annoy widersprach nicht, wahrscheinlich weil sie wusste, dass Lorella Recht hatte. Auch Arilissa hatte nichts Nettes zu sagen: „Wie sollte es auch anders sein, Isabel Greene? Deinetwegen konnte heute niemand die Maschine ausprobieren! Vielen Dank auch!“ Da wandte Jason ein: „Lügnerin! Alle konnten die Maschine ausprobieren. Sogar du.“ Arilissas Augen leuchteten auf. „Stimmt ja! Ich war die Wiedergeburt von niemanden, was mich erstmal echt wurmte. Aber das zeigt ja nur, dass ich ein sehr frischer und moderner Mensch bin“, sagte sie mit ihrem selbstgefälligen Lächeln, „und ich bin die Seelenverwandte von einem Sänger!“

„Welcher?“

„Sage ich nicht! Top-Secret!“

„Na klar, ist es Top-Secret! Schließlich lügst du!“

„Gar nicht!“

Man würde nie die Wahrheit erfahren, das wusste Isabel. Doch das musste sie auch nicht. Sie wollte Lian suchen gehen. „Ich komme gleich wieder. Ich muss Lian finden. Aber ich bin gleich wieder da, versprochen!“, versicherte sie Lorella und rannte davon. Lorella tat so, als würde es ihr überhaupt nichts ausmachen, aber eigentlich war sie wütend. Sie machte sich so viele Sorgen, nur damit Isabel dann doch zu Lian rannte. „Wetten, sie wird ihm jetzt von ihrem Erlebnis erzählen aber mir nicht?!“, redete sie sich selbst ein.

Isabel fand Lian auf einer Bank am Eingang, wo er mit gesenktem Kopf drauf saß.

„Lian?“

„Huh? Isabel! Dir geht es gut?“

„Scheint so.“

„Ich… Ich habe mir unheimlich viele Sorgen gemacht. Ich habe mir Vorwürfe gemacht, weil ich den Verlauf nicht anhalten konnte.“ Er fiel ihr um den Hals.

„Lian… es tut mir so leid! Das war alles meine Schuld. Ich wollte doch so unbedingt die Maschine ausprobieren. Aber du musst herausfinden, was ich gesehen habe! Ich habe mein vergangenes Ich getroffen und es war ein Engel! Kannst du das glauben?“

„Ja, das ergibt eigentlich Sinn. Willst du nicht noch herausfinden, wer dein Seelenverwandte ist?“ Isabel zuckte zusammen.

„Niemals! Ich gehe da nie wieder rein! Wer bist du eigentlich?“

„Ehrlich gesagt finde ich meinen Seelenverwandten viel interessanter. Und irgendwie eigenartig. Auf meinem Zettel steht mein Seelenverwandter war ein Hund namens Lolli. Noch komischer finde ich es, dass hier das Wort ,war’ steht.“ Isabel erschrak. Konnte das sein…? „Ich g-glaube, ich weiß wieso, brachte sie hervor, „Lolli war der Name meines verstorbenen Hundes. Er hatte einen Charakter ähnlich wie deiner und das erklärt auch warum… warum… du so bist wie er.“ Lian meinte: „Das erklärt, warum ich vor ein paar Monaten angefangen hatte, mich so furchtbar einsam zu fühlen. Wenn er zu dem Zeitpunkt gestorben ist…“ Isabel setzte ganz viele lose Puzzleteile, die überall verstreut waren, endlich zusammen. Alles ergab Sinn.

Im Auto war Isabel ganz still. Komplett unauffällig im Vergleich zu Juliane. Die redete die ganze Zeit nur, doch Isabel hörte gar nicht zu. Tat sie sonst schließlich auch nicht. Als sie durch die Tür ihres Hauses trat, ging sie sofort nach oben gefolgt von Janne. Isabel schmiss sich aufs Bett und Janne fragte: „Ist alles in Ordnung, Schatz? Ist auf dem Ausflug irgendetwas passiert?“ Isabel antwortete: „Ja, eigentlich ziemlich viel. Zum Beispiel habe ich heute herausgefunden, dass Lian der Seelenverwandte von Lolli war.“

„Was?“

„Und ich war heute ein wenig zu neugierig, was die Maschine anging. Ich habe sie ausprobiert… na ja… obwohl es eigentlich noch gar nicht erlaubt wurde.“

„Isabel…!“

„Ich weiß! Danach bin ich wohl irgendwie bewusstlos geworden und plötzlich befand ich mich im Himmel zusammen mit einem Engel, bei dem es sich herausstellte, dass ich die Wiedergeburt von ihm war… oh ja! Der Engel! Du wirst nicht glauben, wer das war! Ich bin die Wiedergeburt von Isabel, einem Engel, der mir erzählt hat, dass du und sie mal Freunde wart! Sagt dir das irgendwas?“ Jannes Augen weiteten sich.

„Das kann nicht sein! Ich dachte, sie hätte mich schon lange vergessen.“

„Genau deswegen sage ich dir das. Isabel wollte dich wissen lassen, dass sie dich nie im Stich gelassen hatte! Im Himmel ist Krieg ausgebrochen und…“

„…und deswegen verdunkelten sich die Wolken in dieser Woche wie noch nie zuvor. Aber heißt das jetzt… Isabel hat nicht überlebt?“ Isabel nickte stumm. Jannes Augen fingen an, sich mit Tränen zu füllen.

„Am Ende haben nur die stärksten Engel überlebt. Die haben entschieden, mir bei Geburt die Kette mitzugeben. Und so ist alles passiert.“ Janne war entsetzt.

„All diese Jahre habe ich geglaubt, dass sie mich einfach so verlassen hatte, aber jetzt sagst du mir, dass du sie bist. Und sie ist du.“ Janne umarmte ihre Tochter. Endlich wusste sie die Wahrheit. Es war eine traurige Wahrheit, aber in einer anderen Form hatte sie ihre Freundin immer noch und im Herzen würde sie sie nie verlieren. „Ich habe dich lieb“, teilte Isabel ihrer Mutter mit. „Ich dich auch. Gleich gibt es Abendessen. Allerdings muss ich vorher noch einmal die Schule anrufen. Ich finde es nicht okay, dass man mich nicht informiert hat“, sagte Janne und schloss die Zimmertür.

„Lorellllaaaa! Wir sehen uns in drei Stunden und vierzig Minuten!“, rief Isabel am neunzehnten August nach der Schule quer über den Schulhof. Der Tag der Pool Party! Lorella wollte wissen: „Wen hast du alles eingeladen?“ Isabel antwortete: „Sechs Leute. Du, Amelia, Evelyn, Mirelle, Violetta und Lian. Plus Juliane und ich sind wir acht Leute.“ Lorellas Miene verfinsterte sich. „Du lädst den auch wirklich überall ein. Er scheint deine ganze Aufmerksamkeit zu bekommen“, meinte sie plötzlich kühl. Sie fuhr fort: „Gestern hattest du wohl mehr Lust, ihm von deinem Erlebnis zu erzählen als mir, kann das sein?“ Empört fragte Isabel: „Du hast uns doch nicht etwa belauscht, oder?“ „Nein, sonst wüsste ich jetzt, was gestern passiert ist. Soll ja auch egal sein. Bis gleich.“ Lorella stieg ins Auto und sie und ihre Mutter fuhren davon. Auf dem Nachhauseweg dachte Isabel darüber nach, was ihre Freundin gesagt hat. Vielleicht hatte sie ja Recht. An ihrer Stelle wäre Isabel auch wütend gewesen, wenn Lorella ihr von den wichtigsten Ereignissen nichts erzählen würde, aber dafür irgendeinem Typen. Aber für Isabel war Lian nicht nur irgendein Typ. Zu Hause angekommen warf sie sofort ihren Rucksack in eine Ecke und rannte in den Garten. Sie forderte Juliane auf: „Wenn du heute bei der Pool Party dabei sein willst, musst du helfen. Wir dekorieren ein wenig im Garten und es muss ein Buffet geben. Mama backt ihre berühmten Kekse und wir machen an der Party den Rasensprenger an. Dann wird es richtig cool. Bei einer dieser Sachen musst du mithelfen, such dir was aus!“ Juliane rollte genervt mit den Augen. „Ich habe es kapiert, Miss Oberboss!“, brummte sie. Die Vorbereitungen dauerten fast dreieinhalb Stunden, und fünf Minuten haben sie für den Weg nach Hause benötigt, das hieß, sie hatten alle nur noch ungefähr fünf Minuten bis die Gäste kamen. Mirelle, Violetta und Lorella waren schon da. Ein paar Minuten später kamen auch noch Amelia und Evelyn. „Wo ist denn Lian?“, fragte Lorella misstrauisch.

„Er kommt etwas später zur Party“, sagte Isabel. Sie konnte deutlich spüren, dass sie immer noch wütend war. Das wollte Isabel endlich ändern. Immerhin sollte der Abend Spaß machen.

„Lorella. Es tut mir leid. Ich habe ihm wirklich viel Aufmerksamkeit geschenkt. Und es tut mir leid, dass ich am Ausflug abgehauen bin. Kannst du mir verzeihen? Bitte?“ Vor Kurzem hatte Lorella die Arme vor der Brust verschränkt, doch sie drehte sich zu Isabel um. „Na guuutt… Lass uns einfach Spaß haben!“ Gemeinsam rannten beide auf den Pool zu. Am Abend wurde die Stimmung etwas ruhiger und Lian war inzwischen auch da. Isabel und er machten kurz einen kleinen Spaziergang durch den Garten. „Das ist wirklich schön hier. Wenn man mal so ganz allein in der Stille spaziert. Findest du nicht?“ Lian antwortete: „Ja, du hast recht. Die Sterne sind schöner als sonst.“ Beide setzten sich nebeneinander auf eine kleine Bank, die die Greenes ebenfalls im Garten stehen hatten, und schauten sich die Sterne an. An diesen Moment würde Isabel sich nicht mehr so gut erinnern können, weil sie schon sehr müde war, aber eine Sache geschah noch die sie auch nie wieder vergessen konnte. Bevor Isabel komplett einschlief, trafen ihre und Lians Lippen aufeinander. Die Augen schlossen sich endgültig und am Ende lagen Lians Lippen auf ihren und die Erinnerung verschwamm glücklich und blieb im Inneren versteckt.

Lolli, der Engel, all diese Personen, auch Tom, Janne und Juliane und Lian und Lorella, sie verschwinden nicht einfach. Keiner verschwindet einfach. Irgendwo bleiben sie immer fest, manche tragen ihre Geliebten im Herzen weiter und im Himmel sind sie auch auf Ewig gut aufgehoben.

 

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