Porträt von mir
Porträt von mir

Porträt von mir

Es war an einem Donnerstag, als ich mich auf den Weg gemacht hatte. Auf den Weg zu meinem ganz persönlichen Abenteuer – oder besser gesagt zu meinem eigenen Horror Trip!

Ich hatte mir sechs Wochen freigenommen, um eine Rucksacktour durch ganz Europa zu unternehmen. Meine Reise begann in London. Nach ein paar Tagen und viel Fish and Chips ging es dann rüber nach Frankreich, dann nach Spanien, dann Italien, dann Kroatien und so weiter. Enden sollte der Trip in Berlin.

Doch der große Horror begann schon bei einem meiner ersten Stopps. Rumänien! Ich weiß sehr, klischeehaft: das Land der Vampire.

Ich war gerade auf einer dreitägigen Wanderung in einem Wald in den Karpaten. Hier befinden sich einige der letzten Urwälder Europas, weshalb ich etwas mehr Zeit eingeplant hatte, um diese entlegenen Wälder zu besichtigen. Ich wusste ja, dass hier heimlich Bäume gefällt werden, sodass ich mir vorgenommen hatte, mir diese Naturwunder anzusehen, bevor es zu spät war.

Als alles begann, saß ich gerade auf einem Baumstumpf – die Sonne strahlte hell am kaum bewölkten Himmel – meine müden Beine auf einem am Boden liegenden Ast gelehnt und in meiner Hand eine Tüte Chips. Kauend genoss ich jeden Bissen und merkte, wie der Hunger sich langsam legte. Ich war total in mich und mein Essen vertieft und genoss die stille Natur, sodass ich nicht bemerkte, wie schwere, dunkle Wolken sich am jetzt nicht mehr so blauen Himmel bildeten. Doch meine Unwissenheit über das schlechte Wetter sollte nicht lange halten. Ich wollte mich gerade wieder auf dem Weg machen, als die Wolken ihrer Last nachgaben und begannen dicke, nassen Tropfen auf die Erde fallen zu lassen. Hektisch versuchte ich, meine Sachen zu packen, um mich dann unter einen Baum zu stellen. Aber es war schon zu spät. Bevor ich überhaupt fertig mit Packen war, fühlte ich bereits, wie das kalte Regenwasser meinen Körper gefrieren ließ. Meine Haare, meine Klamotten, mein ganzer Körper waren vom Regen durchnässt.

Trotzdem rettete ich mich unter einen naheliegenden Baum und hoffte, dass das Unwetter bald zu Ende sein würde. Das wurde es aber nicht. Es wurde noch schlimmer.

Frierend stand ich also unter einem Baum und wartete darauf, dass der Regen aufhören würde, als plötzlich ein strahlend heller Blitz den Himmel erhellte. „Mist!“, rief ich laut auf und wusste sofort, dass ich hier weg musste. Schnell rannte ich los auf der Suche nach einem sicheren Ort.

Bei Gewittern gerate ich immer in Panik, also hatte ich es besonders eilig, ein Versteck zu finden. Wie ein gejagtes Tier rannte ich also durch den Wald. Das Gewitter musste sich mittlerweile direkt über mir befinden, denn die Sekunden zwischen Blitz und Donner wurden immer kürzer. Erst bildeten sich helle Risse am Himmel und direkt danach schallte das tiefe Grollen des Donners durch die dunkle Atmosphäre. Hektisch rannte ich schnell atmend über Büsche und Äste und merkte, wie Dornen und Gestrüpp meine Haut aufkratzten. Es war nicht gut, in Panik zu geraten. Ich befand mich in irgendeinem Wald, irgendwo in den Karpaten und falls ich stürzen sollte, gäbe es niemanden, um mich zu retten. „Ruhig bleiben“, schrie ich mir in den Kopf, aber es brachte nichts. Gerade als ich kurz vor dem totalen Durchdrehen war, sah ich es. Mitten im Wald ragte ein riesiges, altes Steinhaus aus dem Boden. Große Fenster gaben einen leichten Einblick in das Gemäuer. Zu erkennen waren lange breite Flure und dicke Holztüren.

Kennt ihr es, wenn Leute in Horrorfilmen immer dahin gehen, wo das Böse lauert, obwohl sie wissen, dass etwas offensichtlich nicht mit rechten Dingen zugeht? Als Zuschauer denkt man sich nur, wie dumm diese Personen sind. Aber etwas zieht einen in genau diese Ecken. Man kann dem nicht widerstehen. Genau so erging es mir. Obwohl ich fühlte, dass etwas mit diesem Ort ganz und gar nicht in Ordnung war, trat ich durch die unabgeschlossene Tür ins Innere dieses Hauses. War es meine Angst vor dem Gewitter und meine Sehnsucht nach einem trockenen Plätzchen oder doch etwas anderes, das mich dazu veranlasste, dieses unheimliche Haus zu betreten – ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich es bereuen würde.

Ob es nun schon abends war, konnte ich nicht erkennen, da der Himmel wie eine einzige blaugraue Masse wirkte. Mein Handy hatte ich dummerweise bei der ganzen Aufregung irgendwo liegen lassen, sodass ich nicht wusste, wo ich war, und auch keine Hilfe rufen konnte, falls ich diese brauchte. Das war ziemlich unpassend, aber ich konnte nichts anderes tun als warten… warten… warten…

Im Inneren des Gebäudes war es ziemlich muffig und stickig. Eine dicke Staubschicht auf dem Boden wies darauf hin, dass das Haus lange nicht betreten worden war. Auch die mottenzerfressenen Gardinen und der am Boden liegende Kronleuchter schlossen diesen Ort als ein bewohntes Zuhause aus. Zumindest für vernünftige, gepflegte Menschen. Schaudernd stellte ich mir vor, wie ein breitgebauter Mann in seinem Eckchen saß und mich wütend beobachtete. Sofort verbannte ich den Gedanken aus meinem Kopf, ich durfte nicht durchdrehen. Leise betrat ich den Flur des Gemäuers. Bei jedem Schritt knarrte der Boden, als würde er jeden Moment meinem Körper nachgeben. Leise lief ich durch das verlassene Haus. Dank meiner Taschenlampe bekam ich einen mittelmäßigen Einblick. Nach einer Weile fand ich einen Raum, der noch einigermaßen gut erhalten aussah. Sofort breitete ich meine Matte auf dem Boden aus und baute mir mit Kisten eine kleine Mauer um mein provisorisches Bett, damit sich bloß keine Ratten in meinem Schlafsack ein neues Zuhause suchten. Draußen wurde es langsam dunkel und ich merkte, wie sich mein Magen meldete. Ich beschloss, mir Nudeln zuzubereiten. Ich kramte meinen Camping Wasserkocher aus meinem Rucksack und begann, das Wasser zu erhitzen.

Jetzt sitze ich in meiner provisorischen Behausung, um mich herum brennende Kerzen aufgestellt. Nur das kochende Wasser unterbricht die Totenstille die seit meiner Ankunft in diesem Haus herrscht. Sekunde um Sekunde breitet sich in meinem Bauch ein seltsames Gefühl aus, so als wüsste etwas tief in mir, dass etwas mit diesem Ort ganz falsch ist. Doch was hier so „falsch“ ist, kann ich einfach nicht begreifen. Ich will gerade den Wasserkocher ausschalten, als mich eine Welle der Kälte überfällt. Verwirrt will ich auf den Knopf drücken, als ich bemerke das Suppe nicht mehr kocht. Ich halte meine Hand über den Topf, aber da ist keine Wärme, die meine Hand hinaufgleitet. Ich muss stutzen. Gerade war das Wasser noch kochend heiß gewesen und jetzt – ich riskiere den Versuch und berühre mit der Fingerkuppe die Wasseroberfläche. Ich hatte erwartet, dass ich mich verbrennen würde, aber das Wasser ist nicht annähernd warm. Im Gegenteil! Durch die Berührung meiner Fingerkuppe mit dem Wasser dringt eine durchdringe Kälte in meinen Körper. Das ist doch nicht möglich! Kurz darauf bemerke ich, dass auch die Kerzen nicht mehr brennen. Irgendetwas geschieht hier offensichtlich nicht mit rechten Dingen! Ich beschließe, mich auf die Suche nach der Quelle der plötzlichen Kälte zu machen. Ich weiß, dass es leichtsinnig ist, doch meine Neugierde ist zu stark, sodass ich es einfach herausfinden muss.  Leise trete ich in einen langen Flur. Mit schrecken muss ich feststellen, dass alles um mich herum voller Nebel ist. Ich kann gerade einmal einen Meter um mich herum sehen. Der Rest verschwindet im dichten Nebel. Es ist dumm, ich weiß, jedoch habe ich Hunger und das war meine letzte Tüte Nudeln.

Langsam stelle ich einen Fuß vor den anderen, immer darauf bedacht, nicht in ein Loch im Boden zu treten. Der Gedanke, dort unten im Dunklen festzusitzen, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Mir gefällt die Situation, in der ich sitze, ganz und gar nicht. Warum tue ich das?

Nach einigem Suchen gelange ich in einen großen, verstaubten Raum. Große Fenster befinden sich in einer großen Wand, doch diese bringen im Moment recht wenig, da eine breite Nebelwand die Sicht behindert. Meine Taschenlampe fest in der Hand laufe ich durch den Raum. Hier ist es besonders kalt, sodass ich frösteln muss. Ich drehe mich langsam um meine eigene Achse. Als der Lichtkegel meiner Taschenlampe an den Wänden entlangfährt, breitet sich in mir eine eisige Kälte aus. Große Gemälde hängen an den hohen Wänden. Auf jedem Gemälde sind jeweils eine Person abgebildet. Von kleinen Kindern bis zu uralten Leuten. Alle sind mit schreienden Gesichtern abgebildet, allen steht die Angst ins Gesicht geschrieben. Ab das Schlimmste sind die Augen. Sie wirken wie erfroren.  Verstört wende ich mich, um wegzugehen, als ich plötzlich eine Bewegung aus den Augenwinkeln bemerke. Was war das? Abrupt drehe ich mich um, um dann dem Tod in die Augen zu blicken!

Vor dem Fenster steht etwas.  Etwas Böses! Es hat die Statur eines Menschen aber ist viel größer und dünner. Es steht direkt vor mir, nur eine dünne Glasschicht trennt mich und das Wesen. Es hat keine Augen, doch ich weiß, dass es mich anstarrt. Wieder durchstößt mich eine innere Kälte, als das Wesen seine bleiche Hand ans Fenster legt. Ich muss würgen. Ich kann jedes Detail sehen. Ich sehe, wie sich die breiten Adern an das Glas drücken, sie stechen wortwörtlich aus der Hand heraus. Der einzig Gedanke, den ich fassen kann, ist: Tod. Ich will rennen, einfach weg von hier, doch ich kann nicht. Wie angewurzelt stehe ich da und blicke dem Wesen direkt ins Gesicht. Und dann auf die Hand. Die faltige, alte Hand. „Ich will nicht sterben!“ Panisch versuchte ich zu atmen. Das ist ein Traum! Wach auf! Doch wenn das ein Traum ist, dann will eine höhere Macht wohl, dass ich nicht aufwache. Mit Entsetzen stelle ich fest, dass das Wesen anfängt, mit seinen Fingern das Glas einzuschlagen. Quälend langsam sehe ich zu, wie sich immer mehr Risse im Glas bilden. Es ist, als ob mein Körper vereist wäre. In Panik versuche ich, meine Beine zu bewegen, doch mein Körper will einfach nicht reagieren. Das Glas gleicht jetzt einem Spinnennetz. Ich glaube schon zu sehen, wie sich mein wahrscheinlicher Tod gierig die Zähne leckt. Verzweifelt versuche ich es wieder und wieder. Ich schaffe es nicht! Ich spüre, wie mir Tränen über die Wangen laufen. Mein Bein macht einen Schritt nach hinten. Ich kann mich bewegen! Grade als ich es geschafft habe, springt das erste Stück Glas aus dem Fenster. Dann fällt die ganze Scheibe ineinander.

Ein schiefer Schrei ertönt. Das Glas knallt schallend auf den Boden. Ich renne zur Tür. Die Tür kracht zu. Dann ist es still. Langsam füllt sich der Raum mit Nebel. Wie kalte Krallen umzingelt er mich. Laut atme ich ein und aus. Vom Monster ist nichts mehr zu sehen. Jedoch spüre ich seine Anwesenheit. Es wartet auf den richtigen Moment, um mich dann in den Nebel zu ziehen und sich dann über mich herzumachen. Es ist auf meinen Tod aus. So oder so, ich bin hier eingesperrt. Die Tür ist zu und das Fenster – das Fenster! Ich renne in die Richtung, von der ich vermute, dass das Loch im Fenster ist, aber da ist kein Loch. Mittlerweile spüre ich, dass ich diese Kälte nicht mehr lange ertragen werde. Meine Taschenlampe funktioniert auch nicht mehr. Ich muss hier raus. Das weiß ich. Ich muss es riskieren! Leise renne ich zur gegenüberliegenden Seite des Raumes. Hier muss es irgendwo einen Ausgang geben. Ich laufe an der Wand entlang und taste nach einer Tür oder einer Klappe, als ich plötzlich von der Seite gepackt werde. Das Wesen hat mich! Seine langen Finger krallen sich in meine Hüfte. Laut kreische ich auf. Die vereisten Finger des Monsters schneiden sich in meinen Körper und ich spüre, wie die Kälte in mein Fleisch stößt. Kreischend winde ich mich, um dem Griff zu entkommen, doch mein Gegner ist zu stark! Das Wesen dringt langsam in die schwarze Leinwand eines Gemäldes ein und zieht mich mitten in es hinein. Das Material wölbt sich, als würde etwas Schweres dagegen stoßen. Tränen laufen meine Wangen hinab, als ich realisiere, was passiert. Etwas Eiskaltes, Schwarzes, mit einer Hand, die sich in mich schneidet, will mich in ein Gemälde ziehen. Meine Hände krallen sich um den Rahmen. Ich habe Angst. Ich schreie und trete um mich herum, doch es bringt nichts. Schreiend sehe ich zu, wie sich meine Finger nacheinander vom Rahmen lösen. Dann werde ich ins Gemälde gesogen. Ich spüre noch, wie mein Körper von der Kälte durchstoßen wird. Ich weiß, ich sterbe

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