Freundschaft ist zerbrechlich
Freundschaft ist zerbrechlich

Freundschaft ist zerbrechlich

Wenn ich an dieses Jahr zurückdenke, kommt in mir ein Gefühl hoch. Nämlich ein mulmiges Gefühl, das einen rot wie eine reife Erdbeere werden lässt. Aber von Anfang an.

Es war ein warmer August. Ich kam gerade von der Schule und ärgerte mich zutiefst. Diese doofe Lena. Sie ist zwar meine beste Freundin, aber an dem Tag hatte sie mich enttäuscht. Ich meine wirklich enttäuscht. So enttäuscht, dass ich nachdachte, dass sie nicht mehr meine Freundin sei. Dabei fing der Tag ganz normal an. Ich aß meine Super-Crunch-Müsliflocken und machte mich fertig. Als ich mit dem Fahrrad an der Schule ankam, wartete Lena schon auf mich. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht empfing sie mich.

„Was ist los?“, fragte ich sie mit einem erwartungsvollen Lächeln im Gesicht. „Weißt du schon, dass Neuste?“ Mit verdutztem Gesicht sagte ich fest: „Nein! Aber ich habe das Gefühl, dass du es mir sagen willst.“ „Und ob! Sarah hat wohl ein Graffiti an die Schulwand gesprüht! Ein Bild von Frida Kahlo. War ja eigentlich klar – so wie sie in sie vernarrt ist.“ Ich seufzte. War ja klar, dass Lena mal wieder Klatsch und Tratsch von sich gibt. Doch als sie noch etwas hinzufügte, schellten bei mir alle Alarmglocken. „Sie will bestimmt nur Aufmerksamkeit. Aber kein Wunder, so wie sie aussieht! Ich meine, hast du ihre Augen gesehen? Die sind verschiedenfarbig! Voll hässlich! Und im Unterricht ist sie auch eine Niete. Man munkelt, dass sie nur Sechsen hat! Voll dumm!“

Was!? Habe ich das gerade geträumt? Wie kann es sein, dass Lena, meine liebe nette Lena, Sarah Smith beleidigt hat. Bevor ich etwas sagen konnte, kam Sarah höchstpersönlich auf uns zu. „Hi Girls, wie gehts? Mir gehts total super. Habt ihr schon das Bild von Frida Kahlo an der Schulwand gesehen? Voll cool! Die Art, wie das Bild gezeichnet wurde, ist genial! Dem, der das gemalt hat, würde ich gerne mal die Hand schütteln!“ Ihre Augen leuchteten so stark, dass es mir vorkam, als würden sie Funken versprühen. Sarah sah uns mit einem versonnenen Blick an. „Äh, ja voll! Sieht total cool aus“, brachte ich hervor. Doch Lena sagte kaltherzig: „Ich finde es voll hässlich!“ Sarah sah sie enttäuscht an. „Warum?“, fragte sie. „Naja es ist die totale Sauerei!“, sagte Lena aufgebracht. Da zischte Sarah wütend ab und wir blickten ihr hinterher. „Warum hast du das gemacht?“, rief ich wütend. Lena sah mich entsetzt an. Sie sah so aus, als hätte ich ihr gesagt, dass es Gummibärchen nur noch in Brokkoligeschmack gäbe. „Na ja. Sie hat es verdient“, zickte sie mich an. Ich war entsetzt. Ich warf ihr noch einen bösen Blick zu, zischte: „Wer bist du?“ Und wandte mich ab. Rasend schnell rannte ich ins Schulgebäude und auf direktem Weg zum Klo.

Ich hatte noch fünf Minuten Zeit. Fünf Minuten, in denen ich abschalten konnte. Hatte Zeit zum Nachdenken. Als ich gerade gedankenversunken war, warum Lena so gemein war, ging die Tür auf. Da hörte ich eine vertraute Stimme. „Clarissa ist ja voll sensibel“, sagte Stella Johnson. Sie war das zickigste Mädchen in der ganzen Schule. Ihre Hobbys sind: andere zu verpetzen und über andere zu lästern. „Ja, total. So kenne ich sie gar nicht!“, sagte Lena genervt. Da, auf einmal sagte Stella: „Hey weißt du was? Ich habe Sprühspinnennetze dabei. Sollen wir Sarah zusprühen?“ „Da brauchst du mich gar nicht fragen! Na klar!“, sagte sie erfreut. Obwohl ich in einer Kabine saß, konnte ich schwören, dass Lena grinste wie ein Honigkuchenpferd. Da hörte ich auf einmal schluchzende erstickte Schreie: „Ich hasse dich! Wie…nur? Du bist so…!“ Plötzlich hörte ich etwas Hartes aufschlagen und zitternd vor Angst stieß ich die Kabine auf. Da sah ich sie. Sie stand am Spiegel, zitternd. Ihre Hände fest an ihren Kopf gepresst, so als wolle sie ihn zusammendrücken. Da sah ich eine verbeulte Sprühdose. Und da sah ich, wie Stella langsam fiel. Es war, als ob sie in Zeitlupe auf dem Boden aufkommen würde. Ich schrie auf: „Was ist passiert? Warum ist Stella bewusstlos?“ Doch weiter kam ich nicht, denn meine Füße trugen mich ins Sekretariat. Ich riss die Tür auf und schrie: „Stella ist bewusstlos! Sie liegt im Mädchenklo!“ Frau Müller stand auf. Sie ging mit einem Ersthilfe-Koffer in der Hand mit schnellen Schritten zum Mädchenklo. Ich wartete draußen. Nach langer Zeit kam Stella wankend aus dem Klo. Gestützt von Lena. Ihre Augen waren rot. Hatte sie ernsthaft geweint wegen Stella? Da hörte ich eine laute, wütende Stimme: „Du bist so unvorsichtig. Ich werde deine Eltern anrufen. Stella hätte bleibende Schäden davontragen können!“ Da ging Frau Müller aus der Tür. Als sie mich sah, blieb sie stehen. Dann sagte sie: „Mit dir muss ich noch ein Wörtchen sprechen.“ Sie sah mich überraschenderweise liebevoll und streng zugleich an: „Was ist passiert?“ „Also, ich ging aufs Klo und dann hörte ich Stella sagen, wie sie Lena fragte, ob sie gemeinsam Spinnennetze aus der Dose auf Sarah sprühen wollen. Danach, so vermute ich, stürzte sich Sarah auf Stella und Lena, und nahm sich die Sprühdose und schlug sie auf Stellas Kopf.“ Frau Müller hörte mir aufmerksam zu. Dann sagte sie zu mir: „Ich danke dir für deine Hilfe und Ehrlichkeit.“ Sie drehte sich um.

Ich ging zum Unterricht. Frau Rowle sah mich komisch an. Uups. Ich hatte sie wohl mitten im Matheunterricht gestört. „Clarissa, warum kommst du so spät?“, fragte sie. Ich antwortete: „Es tut mir leid. Es ist was dazwischengekommen.“ Frau Rowle deutete auf meinen Platz und ich setzte mich hin. Der Tag verging wie im Flug. So, jetzt bin ich wieder am Anfang. Ich ging also nach Hause.

Nachdem ich mich einigermaßen beruhigt hatte, wurde ich angerempelt. Ich taumelte und fiel. „Aus‘m Weg!“ Ich sah gerade noch Lenas Haarschopf, als sie um die Ecke bog. Ich konnte nicht anders.  Ich rannte Lena hinterher. Ich packte sie am Arm und sagte: „Was ist dein Problem?“ Sie dreht sich ruckartig um, befreite sich schnell von mir und schrie: „DU! Du bist mein Problem. Dank deiner tollen Petz-Aktion müssen ich und Stella nachsitzen. Ich hasse dich!“ Tränen stiegen in mir auf. Obwohl sie so gemein war, war sie trotzdem meine beste Freundin. Geknickt ging ich nach Hause. Aber ich heckte schon einen Plan aus. Ich würde sie überraschen! Und ich wusste auch schon wie.

 „Was machst du denn hier?“, fragte meine beste Freundin entsetzt, als ich zu ihr kam. Ich blickte sie an. Da kam ich mir ziemlich doof vor, wie ich so da stand mit Lenas Lieblingspralinen in der Hand. Mit zitternder Stimme antwortete ich: „Mich bei dir entschuldigen. Es tut mir leid, dass ich so doof war.“ Überraschenderweise umarmte mich Lena auf einmal. „Ich sollte mich eigentlich entschuldigen. Ich bin eine Lästerschwester. Es tut mir leid!“, sagte sie mit brüchiger Stimme. Ich weinte vor Freude.

In dem Moment merkte ich, dass ich ziemliches Glück hatte, so eine tolle beste Freundin zu haben.

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