Die Flut
Die Flut

Die Flut

Es ist dunkel. Keiner wagt, sich zu bewegen. Ein falscher Schritt und wir werden alle in die schwarze Tiefe stürzen. In diese kalte, schäumende Tiefe, die uns wie schwarze Tinte verschlucken wird und uns nie wieder an die Luft lassen würde. Tränen laufen mir über meine gefrorenen Wangen, ich will einfach nur, dass alles ein Ende hat. Das Schlimme an allem ist, dass wir selbst Schuld an den ganzen Dürren, Stürmen und Fluten haben. Nicht unbedingt wir als einzelne Personen, sondern wir als Menschen.

Vielen Menschen ist noch nicht klar, dass wir schon zu weit gegangen sind. Sie verstehen nicht, dass nicht nur die Natur leidet, sondern auch wir Menschen langsam sterben. Nicht überall ist es schon außer Kontrolle geraten, jedoch sind viele Orte auf unserer Erde am Sterben. Unsere Situation ist der klare Beweis, dass wir schon ganz bald am Ende sind.

Ich klammere mich an die Jacke meiner Mutter, wie ein kleines verängstigtes Kind, das Angst vor der großen weiten Welt hat. Der Boden unter meinen Füßen bebt. Die starken Vibrationen verdeutlichen, dass das Wasser, welches unsere Stadt überflutet, in die zerstörte Hauswand eindringt, um alles zum Stürzen zu bringen. Plötzlich ertönt ein lautes Krachen. Ein Teil vom Haus, auf dem wir stehen, bricht in sich zusammen und stürzt in die wilden Fluten. Ich schreie auf. Das Aufschlagen der Hauswand bringt den Rest des Hauses, auf dem wir nach Schutz gesucht haben, ins Taumeln.      

Zwei Stunden zuvor.

Wir waren gerade beim Abendessen, als der erste Alarm unser Dorf erschütterte. Was war los? Ich blickte fragend in die Gesichter meiner Eltern, doch sie wirkten genauso ahnungslos. „Bleibt hier!“, wies meine Mama uns an, doch ich folgte ihr trotzdem auf dem Balkon. Von unserem Balkon aus hatten wir einen guten Ausblick auf die bepflasterte Hauptstraße. Auch unsere Nachbarn standen verwirrt auf ihren Balkonen. „Ist bestimmt nur ein Fehlalarm.“ Meine Mutter ging wieder kopfschüttelnd ins Esszimmer, als einer unserer Nachbarn panisch auf die Berge zeigte. Mein Blick folgte seiner zitternden Hand. Ich schrie auf. Von den Bergen kam eine riesige Wand aus Wasser direkt auf uns zu. Das Wasser schlängelte sich wie eine Schlange den Abhang hinab. Schnell rannte ich in unsere Küche. „Das Wasser vom Damm! Es, es kommt auf uns zu!“ Ich zeigte zitternd auf unseren Balkon. Mir wurde schwindelig. Ich taumelte gegen die Wand. Alles zitterte, unser Haus, mein ganzer Körper. Ich hörte, wie alle aufschrien, wie das Wasser unsere Straße entlang floss, als wollte es alles mit sich reißen. „Wir müsse aufs Dach!“ rief mein Vater aufgeregt. Wir folgten ihm panisch die Treppe hoch aufs Dach. Das Wasser ging bereits fast bis zum zweiten Stock. Weitere Bewohner unseres Wohngebäudes stürmten aufs Dach. Alles ging so schnell! Die ersten Gebäude stürzten bereits zur Hälfte ein, mit ihnen die Menschen auf den Dächern. Wir sind hier nicht an fluten oder Erdbeben gewöhnt. Unsere Häuser sind nicht sehr stabil gebaut, weshalb es dem Wasser nicht schwer fällt, unsere Häuser zu zerstören. Es könnte Stunden dauern, bis uns Hilfe erreichen würde.

Jetzt.

Ich stürzte auf den Boden. Mein Gesicht berührt die kalte, nasse Hauswand. Ich schreie auf. Panik! Mein Vater zieht mich noch rechtzeitig, denn der Teil, auf dem ich gerade eben noch gelegen habe, stürzt in die Tiefe. Ich schreie auf. Aus Reflex springe ich nach hinten und krache in meinen Vater. „Bleib ruhig! Sonst bringst du uns alle um!“ Ich breche augenblicklich in Tränen aus. Ich will niemanden umbringen, ich will nicht sterben. Der größte Teil unseres Hauses ist in den Wellen versunken. Das Wasser ist immer mehr gestiegen. Auch alle anderen Häuser sind stark beschädigt. Die meisten unserer Nachbarn haben sich auch auf ihren Hausdächern gerettet. Ich will nicht daran denken, wie viele Menschen schon gestorben sind. Ein lautes Donnern ertönt. Ich schrecke auf. Meine Mama hält mich von hinten fest. Sie würde mich niemals loslassen. Mein Bruder krallt sich an die Arme meines Vaters. „Mama, was sollen wir machen?“, frage ich meine Mutter weinend. Ich habe Angst. Jeden Moment könnte der Boden einbrechen.

„Alles wird gut. Bald werden wir gerettet!“

Ich weiß, dass sie sich selber nicht sicher ist, ob wir gerettet werden.

„Ein Mann neben mir dreht sich zu meinem Vater. „Wir müssen versuchen, in die Berge zu gelangen! Hier im Tal werden wir ertrinken.“

Mein Vater blickt ihn müde an. „Wie sollen wir das schaffen. Ich habe zwei Kinder.“

„Wir können über die Dächer zur Straße laufen. Sie müssten stabil sein. Dort können wir warten, bis wir gerettet werden.“

„Was wenn wir ausrutschen.“, erwidert meine Mutter.

Mein Vater blickt starr auf die schwarzen Strömungen.

„Die Rettungsteams müssten bald da sein. Das Wasser ist schwächer geworden. Wir bleiben hier!“, sagt meine Mutter mit bestimmter Stimme.

Ich weiß nicht, ob es die schlaue Wahl ist, jedoch weiß ich, dass meine Mutter hier bleiben würde. Ich schließe meine Augen. Ich bin so müde. Das alles ist so anstrengend…

„Sie sind da!“ Ich öffne meine Augen. Verwirrt Blicke ich in den Himmel. Ich kann es kaum glauben. Motorengeräusche schallen durch die dunkle Nacht. Sie sind kaum hörbar, das Wasser ist zu laut. Jedoch kann ich sie sehen. Helle Scheinwerferlichter tauchen hinter den Bergen auf. Wir sind gerettet.

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